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Roman Pfeffer - Leave the Planet: Humor, Moderne und Geist

“The reasonable man adapts himself to the world: the unreasonable one persists in trying to adapt the world to himself. Therefore all progress depends on the unreasonable man.”
(George Bernard Shaw) 

Auch wenn man nicht zum Materialfetischismus neigt, ist es schwer, sich der Schönheit der Formen und Oberflächen von Roman Pfeffers Skulpturen zu entziehen. Wie bei großartigen Werken sakraler Kunst staunen wir darüber, wie nicht nur die Schwerkraft, sondern besonders auch der scheinbar natürliche Widerstand des Materials künstlerisch überwunden wird und eigentlich schwere Gegenstände Empfindungen von Bewegung und Leichtigkeit vermitteln.

In seiner Ausstellung Leave the Planet in der Dominkanerkirche in Krems setzt Roman Pfeffer neue und ältere Arbeiten gekonnt in Beziehung zur Architektur eines Raumes, der trotz seiner Nutzung als Ausstellungsraum seine Sakralität bewahrt hat. Im Vergleich zu Pfeffers großer Sommerausstellung im Bildraum Bodensee in Bregenz, einem klassischeren Ausstellungsraum, in der auch ältere Serien zu sehen waren, wirken in Krems auch monumentale Werke fast klein. Dabei ist der Raum trotz seiner fast unvermeidlichen Leere ereignisreich. Pfeffer hat seine Skulpturen und Videos so präzise positioniert und im Verhältnis zu den Raumachsen verrückt, dass auch der scheinbar vollkommen einsehbare und offene Raum zahlreiche Überraschungen und Erlebnisse bereithält.

Die Ambition abzuheben, ist nicht nur titelgebend, sondern auch allgegenwärtig in der Ausstellung. In seinem Video Brain Twister (Autogyrocopter), 2015 verwandelt Roman Pfeffer ein 18 Meter langes Achterruderboot ganz konkret in einen horizontalen Propeller, der sich auf seinem Kopf dreht wie ein Rotorblatt – und riskiert dabei im wahrsten Sinne des Wortes Kopf und Kragen. Die Vorstellung des Abhebens wird dabei spekulativ zum Gegenpol des Vorangleitens im Wasser. Obwohl zahlreiche Werke das Fliegen thematisieren, ist immer klar, dass Pfeffers Mittel dem Ziel nicht angemessen sind. Roman Pfeffer ist kein „Ikarus vom Lautertal“ (Gustav Mesmer), der ernsthaft Fluggeräte baut, die nicht nur plausibel wirken, sondern es auch sind. Die Transformation eines Bootes wird zum formgebenden Prinzip, aber rein ästhetisch, nicht funktional. Wenn die Verwandlung nicht Selbstzweck ist, ist sie bestenfalls allegorisch zu verstehen.

Während ich beim ersten Lesen des Titels Leave the Planet an Science Fiction Literatur, Space X oder einen provokanten Aufruf der Klimabewegung dachte, bekam er im Angesicht der flugunfähigen Fluggeräte schließlich eine spirituelle Bedeutung. Das gleichnamige Werk, nämlich Leave the Planet von 2020, ein geteiltes 4er Ruderboot, das immerhin noch 8 Meter hoch ins Kirchenschiff aufragt, macht die Unmöglichkeit der Planetenflucht greifbar. In Pfeffers Welt kann ein Verlassen des Planeten nur im Geiste geschehen. Dass unsere kontemplative Versenkung in seine Werke uns ein solches auch ermöglicht, ist insofern paradoxal, dass gerade ihre Materialität und Form sie unwirklich und spirituell werden lässt. Immerzu will man die imaginäre Grenze des Ausstellungsraumes überschreiten und sie angreifen, um sie besser zu begreifen.

Helix Simulator hat der Künstler 2015 aus einem 8er Ruderboot gebaut, indem er es verdrehte, so dass es in der Kirche wirkt wie ein Lindwurm. Um es in seine jetzige Form zu bringen, hat er das Boot erbarmungslos zersägen und wieder zusammenfügen müssen. Dabei hat Pfeffer aber so säuberlich gearbeitet, dass es wirkt, als sei das Objekt von Anfang an helixhaft verdreht konzipiert worden.

Während bei Pfeffers Sommerausstellung im Bildraum Bodensee der humoristische Aspekt seiner Werke in den Vordergrund trat, wird in Krems eine spirituelle Dimension seiner Arbeit deutlich, die in der zeitgenössischen Kunst selten geworden ist.

Die Aufhebung der Gegensätze zwischen Geistigkeit und Materialität verbindet Pfeffer weniger mit seinen Zeitgenossen als mit Bildhauern der Moderne wie Constantin Brâncuși. Ein verhältnismäßig kleines Werk, nämlich Doppelhelix redux von 2020, legt diese künstlerische Verwandtschaft besonders nahe – auch wenn Pfeffers humoriger Habitus ein ganz anderer ist als jener Brâncușis.

In Pfeffers Serie zu einem militärischen 11 Meter Maßband, das er in immer neuen, immer plausiblen, aber auch immer unkonventionellen Formen 11 Meter lang sein lässt – der in Bregenz ein Raum gewidmet war – dominiert noch der feine neokonzeptuelle Humor. In den neueren Holzarbeiten kommt neben dem Witz eine neue Geistigkeit zum Tragen. Diese verbindet sie mit der Serie der Mazzocchios, für die Pfeffer eine seltsame geometrische Form aus Gemälden Paolo Uccellos skulptural in den Raum bringt, um sie dort dann weiter zu variieren.

Für Doppelhelix redux kombiniert Pfeffer zwei Reproduktionen im Maßstab 1 zu 10 des ursprünglichen 8er Ruderbootes. Eine Hälfte ist aus Eichen-, die andere aus Lindenholz. Indem er der Künstler sie zusammenfügt, schafft er eine ambige Form, die im Kontext der Ausstellung an einen Rotor oder auch einen Speer denken lässt. Allerdings erinnert sie auch an die Vögel und Fische, mit denen der rumänische Bildhauer Brâncușis bekanntlich den „Blitz des Geistes“ dieser Lebewesen, nicht ihre Form, einfangen wollte. Das Verlangen, den Eindruck von Geschwindigkeit in fixen Formen zu bannen, ist wesentlich für moderne Kunst – und für Brâncuși wie Pfeffer ist Tempo der gemeinsame Nenner der Lebewesen bzw. Gefährte des Himmels und des Wassers.

Am Beispiel Helix Simulator, das auch in Bregenz zu sehen war, wird die Spiritualisierung besonders deutlich. Zwar wirkt das verdrehte Ruderboot in Krems nicht weniger geistreich als in Bregenz, aber es wird noch stärker zum Symbol des Triumphs des menschlichen Gestaltungswillens über die Materie. Es wird geistiger. Roman Pfeffer macht sich die Materialien untertan und negiert so die ursprüngliche Funktion der Objekte, manchmal – wie bei den Variationen des 11 Meter langen Maßbands – indem er sie bis zur Absurdität ernst nimmt. Dabei lässt er aber nicht abstrakte Formen entstehen, sondern solche, die anders konkret sind. So schärft er den Möglichkeitssinn der Betrachter*innen. Er lädt uns ein, die Gegenstände nicht nur in ihrer zufällig aktualen Form und Funktion zu betrachten, sondern immer auch nach anderen Verwendungsmöglichkeiten und formalen Potentialen zu schauen. Pfeffer arbeitet so an dem surrealistischen Projekt René Magrittes weiter, der hoffte, seine Kunst würde uns bewegen, auch selbsttätig „die imaginären Grenzen der Imagination“ zu überscheiten.

Mehr Texte von Klaus Speidel

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Roman Pfeffer - Leave the Planet
12.09 - 01.11.2020

Dominikanerkirche Krems
3500 Krems, Körnermarkt 14
Tel: +43 2732 908010
Email: office@kunsthalle.at
https://www.kunsthalle.at


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