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Unvergessliche Zeit: Maskenpflicht

Der Titel der Ausstellung „Unvergessliche Zeit“ drückt die menschliche Sehnsucht aus, etwas zu erleben, das so bedeutsam ist, dass es immer in Erinnerung bleiben wird. Kunsthaus-Direktor Thomas D. Trummer hat gemeinsam mit seinem Team die Zeit des Lockdowns als eine sehr aufregende und spannende Zeit erlebt. „Viele der besten Künstlerinnen weltweit (Trummer)“ haben sich bei ihm gemeldet und wollten ihre aktuelle Produktion im Kunsthaus vorstellen. Das Kunsthaus soll ein Haus der Gegenwart sein, kein Museum, es soll keine Geschichten erzählen, sondern eigenes Leben darstellen. Deswegen ist das Team des Kunsthaus Bregenz dann selbst aktiv geworden, haben Künstler*innen recherchiert, die Covid 19 zu einem außergewöhnlichen Werk inspiriert hat. Zum Schluss hätten sie zehn Kunsthäuser füllen können. Die aktuelle Auswahl ist eine wirklich sehenswerte Schau mit Berühmtheiten aus dem Kunst-Jet-Set, der zurzeit am Boden bleiben muss.

Allen voran Markus Schinwald (geb. 1973, lebt in Wien und New Haven, Connecticut), der im obersten Stock des Hauses eine ältere Serie gemeinsam mit der aktuellen Produktion arrangiert hat. Die ältere Serie zeigt die bekannten akademisch gemalten Porträts aus dem 19. Jahrhundert, denen Schinwald sogenannte „Prothesen“ ins Gesicht malt. Da ist es natürlich schon frappant, dass da vor Jahren schon Gesichter mit Masken versehen wurden, wie sie heute durchaus ähnlich auf den Straßen zu sehen sind. Allerdings möchte sich Schinwald nicht als Prophet der Coronakrise missverstanden wissen. Während die Masken bei ihm als visualisierte Neurosen im Sinne Freuds gelten und damit den Maskierten vor seinen Mitmenschen schützen sollen, ist es in der Coronazeit umgekehrt: Hier sollen die Masken die Mitmenschen vor dem möglicherweise infizierten Maskenträger schützen. Auch die jüngere Serie von Markus Schinwald in der aktuellen Schau ist von überzeugender Qualität: Auf großformatigen schwarz-abstrakten Bildflächen finden sich winzige Menschen. Es scheint, als ob die Idee vom Menschen in der Wucht der Krise verlöscht. Genial auch ein in vornehmer Kleidung sitzender junger Mann, der den Betrachter direkt aus dem Bild interessiert anblickt. Hier wird die Situation des Museums umgedreht: nicht der neugierige Flaneur betrachtet Kunst, sondern die Kunst betrachtet die Besucherin.

Die Stärke dieser Schau ist sicherlich die Authentizität mit der die Künstler ihre ästhetischen Äußerungen belegen. Ania Soliman (geb. 1970 in Warschau, lebt in Paris) unterlegt ihre Papierzeichnungen in Schwarz-Rot mit Instagram-Posts aus der Krisenzeit in Paris und platziert sie in 14 Vitrinen. In dadaistischen Wortkaskaden notiert sie etwa den Begriff ZEN auf einem Blatt und erläutert auf Instagram, dass sie sich bei einem Zenmeister Rat holte, um ihre Einschlafstörungen zu überwinden.

Marianne Simnett (geb. 1986 in Kroatien) zeigt eine Videoarbeit mit sich als einem hübschen blonden Mädchen. Sie erzählt von ihren Erfahrungen im Bürgerkrieg in Exjugoslawien in den 1990er Jahren und verwandelt sich schminkend in einen nur sehr oberflächlich betrachtet niedlichen Hund, in Titos Hund. Aus der Perspektive des Tieres schildert sie in der melancholisch-melodischen slawischen Sprache, wie sich der Hund bei einem Bombenangriff für den Partisanenführer Tito geopfert hat.

Die Pariserin Annette Messager (geb. 1943), Preisträgerin des Goldenen Löwen der Biennale in Venedig 2005, hat in ihrer typisch nach unten zeigenden, keilförmigen Anordnung fünfzig Aquarelle an der Kunsthausbetonwand angebracht, die makabre Szenen mit zum Teil gespaltenen Totenschädeln und Skeletten mit und ohne Maske darstellen. Annette Messager hatte vergangenen Herbst selbst eine Schädeloperation und die Coronakrise verstärkte noch die Konfrontation mit Tod und Vergänglichkeit.

Der Libanese Rabih Mroué (geb. 1967) steuert ein dichtes Video bei, das die grundsätzlich fatale Situation jeder menschlichen Existenz wie in einem Brennglas fokussiert. Ein Körper wird in allen möglichen Stellungen und Lebenslagen im Staccato auf den Bildschirm geworfen. Sätze wie „Tage vergehen und ich bin immer noch in der gleichen Sch….“ Paraphrasieren dazu die Coronazeit.

Die britische Turner-Preisträgerin Helen Cammock (geb. 1970) zeigt ein für sie typisches, großformatiges Video, das Betrachtungen der englischen Landschaft mit tiefgehenden Meditationen zum Wesen des Schönen und der Kunst verbindet. Trummer sagt: „Ihr Video glänzt im Kunsthaus wie ein Kristall.“ Der (krisenbedingte) Tagtraum schafft einen Raum in dem vor grell abstrakt aufgefassten naturalistischen grünen Hügeln Sätze wie „Es fühlt sich richtig für mich an“ möglich werden.

Last but not least gibt es von William Kentridge (geb. 1955) aus Südafrika Einblick in eine Serie seiner einminütigen Videoarbeiten „The Long Minute“. Wer einen Eindruck von der absurd-lustig-tiefschürfenden Videoarbeit von Kentridge gewinnen möchte, kann das unter @lessgoodidea auf Instagram oder unter www.lessgoodidea.com tun.

Mehr Texte von Wolfgang Ölz

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Unvergessliche Zeit
05.06 - 30.08.2020

Kunsthaus Bregenz
6900 Bregenz, Karl Tizian Platz
Tel: +43 5574 48 594-0, Fax: +43 5574 48 594-8
Email: kub@kunsthaus-bregenz.at
http://www.kunsthaus-bregenz.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr


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