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Von der Exklusion der Exklusion

Unter dem Motto „De-Heimatize it!“ zeigt der mit Beiträgen aus Theater, Kunst und Diskurs interdisziplinär angelegte „Herbstsalon“ Arbeiten von 40 KünstlerInnen. Alle setzen sich mehr oder weniger explizit mit dem Thema Heimat auseinander.

So lange ist es nicht her, dass dieses Thema im deutschsprachigen Raum nur noch im Kontext von kitschiger Nostalgie eine Rolle spielte, heute aber ist „Heimat“ als Gegenbewegung zu den transnationalen Effekten der neoliberalen Globalisierung erschreckenderweise wieder ein virulenter politischer Topos. So ist der Begriff bekanntlich ein Kernstück der Ideologie des Rechtspopulismus und jüngst wurde in Deutschland das Wort Heimat dem Titel des Bundesministeriums des Inneren hinzugefügt. „De-Heimatize it!“ kritisiert nicht nur die desaströsen Folgen dieser Entwicklung – also z. B. weltweit grassierende Fremdenfeindlichkeit inklusive rassistischer Auswüchse – sondern sucht zudem nach neuen Entwürfen von kollektiver Zusammengehörigkeit, beides vor allem aus feministischen Perspektiven.

Herzstück der Ausstellung ist einmal mehr der Berliner Palais am Festungsgraben, in dem z. B. das Video „Tierra“, 2013, von Regina José Galindo zu sehen ist. Eine nackte Frau steht auf einer Rasenfläche, ein Baggerfahrer beginnt die Erde um sie herum auszugraben, so lange bis die Frau auf einer kleinen übrig gebliebenen Fläche steht, inmitten eines tiefen Lochs. Galindo spielt mit dieser Performance an auf die Verbrechen, für die der guatemaltekische Präsident Rios Montt im Jahr 2013 wegen Völkermords verurteilt wurde: Massenhaft ließ der nationalistische Diktator Menschen, insbesondere aus der indigenen Bevölkerung des Landes, ermorden und in ausgehobenen Gruben verscharren. Auch Sanja Ivekovićs Fotografien “Triangle“, 1979, dokumentieren eine Performance, die sich explizit gegen einen Diktator wendet, diesmal handelt es sich um den jugoslawischen Staatspräsident Tito. Während einer Staatsparade Titos am 10. Mai 1979 masturbierte die Künstlerin öffentlich und ließ sich dabei ablichten. So setzt diese Arbeit ein widerspruchsvolles Geflecht von Begierde und Autorität, kontrollierendem und widerständigem Blick, Privatheit und Öffentlichkeit, sowie von männlichem und weiblichem Körper in Gang. Im Treppenhaus des Palais am Festungsgraben dann schwebt Banu Cennetoğlus Arbeit „ICHWEISSZWARABERDENNOCH“ (2015/19): 23 goldene Luftballons ergeben die titelgebende Buchstabenfolge, bei der es sich um ein Zitat des Psychoanalytikers und Ethnologen Octave Mannoni handelt, mit dem dieser den Vorgang des Verleugnens von Tatsachen beschreibt. Die Luftballons, die unter der Decke schweben und während der Ausstellung zunehmend „schlapper“ werden, beschreiben den Umgang mit dem Rechtspopulismus präzise: Zwar weiß man um dessen menschenverachtende Dummheit und Aggression, als ernstzunehmende Gefahr für unser (demokratisches) Leben sehen ihn immer noch die Wenigsten. Kein Zufall daher die Farbe Gold, ist diese doch die Farbe der antirassistischen Bewegung „Wir sind viele“.

An Bauwänden vor dem Palais am Festungsgraben präsentiert Oliver Ressler seine Plakatarbeit „There is not a flag“, 2014 – 2016, die ausgewählte Fahnen von Mitgliedsstaaten der EU zeigt, dazu den Satz „There is no flag big enough to cover the shame of killing innocent people“. Mit diesen anklagenden Worten hatte der Historiker Howard Zinn treffend die menschenverachtende Flüchtlingspolitik der EU kommentiert, die nahezu täglich Todesopfer an ihren Außengrenzen produziert.

Im Hof des Berliner Gorki Theater schließlich hat Delaine Le Bas ihren „Goddess Temple“, 2019, installiert, vor dem eine mehrere Meter hohe „Göttin“ thront. In der für die „Roma-Künstlerin“ typischen, so poetischen wie trashigen, so kritischen wie visionären DIY-Ästhetik erscheint diese „Göttin“ als Hybrid von Vogelscheuche und heilige Jungfrau, deren weißes Kleid mit Texten beklebt und farbenfroh bezeichnet wurde. Gleichsam als Türsteherin vor einem zeltartigen Tempel fungiert die „Göttin“. In diesem organisiert die Theaterregisseurin Yael Ronen ein Programm aus Workshops, Gesprächen und Zeremonien, das dem Experiment an einer „Kultur des Postpatriachats“ dient, also Formen der Zusammengehörigkeit erprobt, die nicht, wie „Heimat“, dem Konzept der Exklusion verpflichtet sind. Und das ist auch gut so!

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4. Berliner Herbstsalon
Bis 17. November 2019
-->www.berliner-herbstsalon.de

Mehr Texte von Raimar Stange

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