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Caravaggio & Bernini: Sichern Sie sich jetzt Ihr Timeslot-Ticket!

Dunkel raunt der Ausstellungsraum, hell strahlt die Kunst! „Caravaggio & Bernini“ im Kunsthistorischen Museum in Wien ist ein großartiger Etikettenschwindel. Nicht weil der Etikettenschwindel großartig wäre, sondern weil die Ausstellung großartig ist, ohne eine Ausstellung über Michelangelo Merisi da Caravaggio und Gian Lorenzo Bernini zu sein. Es hätte nur ein wenig mehr Schwindelns bedurft, um die Ausstellung „Carracci und Algardi“ zu nennen. Tatsächlich ist die Schau eine fulminante Erkundung von Affekt und Gefühl in der Kunst des Frühbarock.

Entgegen sowohl kunsthistorischer Kategorien und Entwicklungslinien, als auch der Chronologie, wird ein ganzes Füllhorn barocker Malerei und Skulptur vor dem Besucher ausgeschüttet und entlang der Begriffe Wunderbares & Staunen, Angst & Entsetzen, Liebe, Vision, Leid & Mitleid, Lebhaftigkeit, Bewegung & Aktion und Scherz gruppiert. Das ist als Vorgehensweise mutig und im Ergebnis eine Augenweide, die auch nicht einschlägig Vorgebildeten die Kunst und die Menschen einer fernen Epoche begreifbar macht.

In jedem Raum werden die Bemühungen der Künstler veranschaulicht, die jeweiligen Gefühlslagen der Protagonisten ihrer Kunstwerke zum Ausdruck zu bringen. Das ist spannend und bewegend. In der Gegenüberstellung werden auch unterschiedliche Herangehensweisen deutlich.

Umso unverständlicher erscheint es zunächst, warum die Ausstellung so vehement als Caravaggio und Bernini-Festspiel beworben wird. Weniger als ein Drittel der Exponate stammt von den beiden; von den zehn Caravaggios sind drei aus dem Wiener Bestand. Ein zentrales Werk Caravaggios ist (ohne Erklärung) nur in einer Reaktion Giovanni Bagliones zu sehen: „Der himmlische Amor besiegt den irdischen Amor“; dabei stammen beide Werke aus dem selben Berliner Museum. 44 der 65 ausgestellten Kunstwerke sind eben nicht aus der Hand der beiden Titelgeber. Das kann nur zu Enttäuschungen führen und verstellt den Blick auf das breite Panorama, das die Ausstellung aufspannt.

Natürlich ist es nicht möglich, die „Ekstase der heiligen Teresa von Avila“ aus Santa Maria della Vittoria oder andere Großskulpturen von Rom nach Wien zu holen. Und allein schon der Terrakotta-Bozzetto der Gruppe aus Sankt Petersburg ist zum Niederknien. Doch wie viel mehr als die Meisterwerke dieser beiden Künstler hat die Ausstellung zu bieten! Da ist dieser „David mit dem Haupte Goliaths“ von Antonio d'Enrico mit seiner unglaublichen physischen Präsenz, dessen Aufgewühltheit angesichts der gerade begangenen Tat sich nicht in dem scheinbar ruhigen Gesicht spiegelt, sondern in der wilden blonden Lockenpracht kulminiert. Oder die ergreifende Version von „Christus zeigt seine Wunden vor“ von Giovanno Antonio Galli genannt Spadarino aus der schottischen Kleinstadt Perth, die selbst eingefleischte Barockfans kaum je im Original gesehen haben dürften – außer 2016 in London in einer Ausstellung der National Gallery, die bezeichnenderweise „Beyond Caravaggio“ betitelt war.

Denn das ist auch die eigentliche Stärke der Wiener Ausstellung: Dass sie über die beiden berühmtesten Protagonisten des römischen Barocks hinausgeht und gleichwertig Bildfindungen anderer Künstler präsentiert, an denen Besucher in den Museen der Welt häufig achtlos vorbeieilen auf dem Weg zu den vermeintlichen Highlights.

Doch leider regiert auch und gerade im KHM die Gier nach Besucherzahlen. Der Werbespruch „Sichern Sie jetzt Ihr Timeslot-Ticket!“ ist Ausfluss einer ökonomischen Logik, die die Qualität einer Ausstellung oder eines Museums am Kartenverkauf misst. In dieser Logik ist dann auch folgerichtig, dass jede Schau als Blockbuster vermarktet wird. Und das geht eben besser mit bekannten Namen als mit Inhalten. Dass mit Vorausbuchungsfristen und Menschenmassen die Ausstellung dann mehr zum anstrengenden Akt mit Enttäuschungspotential als zum erbaulichen Vergnügen gerät, wird dabei in Kauf genommen. Das ist sehr schade, denn die #Barockstars sind wirklich einen Besuch wert.

Mehr Texte von Stefan Kobel

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Caravaggio & Bernini
15.10.2019 - 19.01.2020

Kunsthistorisches Museum
1010 Wien, Burgring 5
Tel: +43 1 525 24 0
Email: info@khm.at
http://www.khm.at
Öffnungszeiten: Di-So 9.00-18.00


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