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Zähne zeigen

In seiner elften Ausgabe hat das Galerienfestival „curated by“ an Dynamik gewonnen. Erster Teil unseres Rundgangs durch die Wiener Galerien.

Im Jahr 2009 durch die Wirtschaftsagentur Wien gegründet, hatte curated by in den vergangenen Jahren mit ersten Ermüdungserscheinungen zu kämpfen. Mit der Übernahme der Organisation durch eine Arbeitsgemeinschaft von Galerien hat das Galerienfestival nun wieder an Dynamik gewonnen.

Das Grundkonzept, externe Kurator*innen zu einem bestimmten Thema Ausstellungen in den teilnehemenden Galerien kuratieren zu lassen, wurde beibehalten. Während in den letzten Jahren allerdings oft Gruppenausstellungen aus dem regulären Galerieprogramm dabei herauskamen, ist die diesjährige Ausgabe internationaler, gespickt mit künstlerischen Positionen aus Südamerika, den USA und Afrika – und sie ist deutlich politischer.

Den Ausgangspunkt bildet heuer der weltumfassende Strom an Waren, Daten, Geld und Ideen, die einer beständigen Zirkulation und dadurch einem dauernden Wandel unterworfen sind. Die politischen Dimensionen dieses allgegenwärtigen Kreislaufes werden in vielen Ausstellungen aufgegriffen und weiter vertieft.

Einen der bedeutendsten Repräsentanten politischen Kunstschaffens in Südamerika hat Kurator Jon Bird in die Galerie Hubert Winter geholt. Alfredo Jaar, 1956 in Santiago de Chile geboren und geprägt von den politischen Verbrechen des Pinocht-Regimes, hat in vielen seiner Werke gegen das Abstumpfen unserer Wahrnehmung und für mehr Empathie angesichts der Bilder von Genoziden, katastrophalen Arbeitsbedingungen und politischer Repression apelliert. Die Galerie zeigt Auszüge aus dem Frühwerk, das noch in Chile und etwas später in New York entstanden ist und deutlich macht, wie wenig sich bis heute an den grundlegenden Formen der Machtpolitik geändert hat.
Kendell Geers, geboren in Johannesburg, war bereits als Jugendlicher Mitglied der militanten Anti-Apartheid Bewegung. Er gilt als einer der wichtigsten und radikalsten politischen Künstler Südafrikas. Als Kurator hat er bei Mario Mauroner Contemporary Art einen Parcours der Körperlichkeit, des Begehrens und der möglichen Selbstermächtigung ausgelegt. Der Körper wird zum Schlüssel eines notwendigen Protests gegen die gegenwärtigen weltweiten Problemstellungen.

Der Körper, Begehren und Sexualität im Rahmen der Auseinandersetzung mit Queer Culture und gesellschaftlichen Normen steht im Zentrum der von Paul Clinton kuratierten Ausstellung LIMP bei Emanuel Layr. Die zum Teil historische Rückschau auf Repräsentationen der Queer Culture, bietet einen Abriss der Auseinandersetzung mit Geschlecht und Identität in den vergangenen Jahrzehnten. Die zum Teil ironischen Arbeiten unterlaufen dabei bewusst jeden Voyeurismus, um eine offene Diskussion über Sexualität und Begehren zu ermöglichen.

In der Galerie gegenüber, bei Sophie Tappeiner, geht es um die Liebe, aber nicht im geschlechtlichen oder zwischenmenschlichen Sinn. In „Radical Self-Love“ wird nicht der Ich-Zentriertheit unserer heutigen Gesellschaft gehuldigt, vielmehr ist die Ausstellung eine Auseinandersetzung mit der Notwendigkeit der Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln, um seine Identität in neuen Umgebungen weiter entwickeln zu können. So etwa bei Sofia Ginevra Giannì, die in Neapel geboren wurde und heute in London lebt. Als SAGG_Napoli kreiert sie Arbeiten rund um Identität und Herkunft die sich vom Galerieraum bis zu Performances und den Sozialen Medien spannen.

Den ersten Satz aus dem Kommunistischen Manifest von Marx und Engels, „Ein Gespenst geht um in Europa...“, haben sich die Kuratoren Wolfgang Brauneis, Hans-Jürgen Hafner und Thorsten Schneider vom Institut für Betrachtung als Grundlage für ihre Ausstellung in der Galerie Raum mit Licht genommen. Victor Burgins Fotoserie „Kings Road“ aus dem London des beginnenden Neoliberalismus und seiner Ausweitung unter der Regierung von Margaret Thatcher, bildet den Ausgangspunkt für Überlegungen zu Identität, Macht, Geld, die in der dystopischen dreiteiligen Installation mit Büchern, Soundtracks und Videos von Philipp Höning kulminieren. Dazwischen hinterfragt Olena Newkryta unsere körperliche Identität vor dem Hintergrund der laufenden „Entkörperlichung“ im digitalen Datenstrom, während Claudia Kugler es den Betrachtern überlässt, sich vor den Zähnen der Bestie eines entfesselten Kapitalismus zu fürchten oder zurück zu beißen.

An die Stelle von gesellschaftlichen wie auch kulturellen Hierarchien ist seit der Erfindung des Internet und der 24/7 Verfügbarkeit von Ideen, Arbeitsleistung und Produktion „The Big Flat Now“ getreten. Jede Zeitlichkeit ist aufgehoben und Geschichte, Gegenwart und Zukunft manifestieren sich in einem von der Realität nicht unterscheidbaren Hologramm, so als wäre Stanisław Lems „Solaris“ kein Planet, sondern das Innere einer Kugel, die die Erde umgibt. Joerg Koch, Verleger und Chefredakteur des Magazins 032c, zeigt in der Galerie Crone Künstler*innen, deren Arbeiten sich innerhalb dieser permanenten Zirkulation zwischen kultureller Produktion, Marketing, Trends, Mode und Lifestyle bewegen. Etwa Sterling Ruby, dem Wiener Publikum vielleicht noch von der Ausstellung im Winterpalais im Jahr 2016 bekannt, der in der Ausstellung mit einem Video der Show seiner ersten Modekollektion präsent ist. Oder Eli Russell Linnetz, von dem es neue Fotografien zu sehen gibt, der aber gleichzeitig für Lady Gaga und Kayne West arbeitet.

In der Galerie Steinek hat Kurator Jürgen Tabor eine komplexe Ausstellung über Identität und Geschichte des Israelischen Künstlers Gil Yefman zusammen gestellt. Die vielfältigen Bezüge in Yefmans Werk reichen von Trans- und Queerer Identitätsfindung bis zu den Verbrechen des Holocaust und zurück zur Flüchtlingsproblematik im heutigen Israel.

Mit diesen Ausstellungen positionieren sich curated by und die Wiener Galerienszene nachhaltig als Ort für politisch-künstlerischen Diskurs.

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--> Galerie Hubert Winter
curated by_ Jon Bird - Alfredo Jaar: 1973
Bis 31.10.19

--> Mario Mauroner Contemporary Art Vienna
curated by_Kendell Geers - Merdelamerdelamerdelamerdelamerdelamer
Bis 12.10.19

--> Galerie Emanuel Layr
curated by_Paul Clinton - LIMP
Bis 12.10.19

--> Galerie Sophie Tappeiner
curated by_Nicoletta Lambertucci - Radical Self-Love
Bis 12.10.19

--> Galerie Raum mit Licht
curated by_ Institut für Betrachtung - es geht um
Bis 25.10.19

--> Crone Wien
curated by_ Joerg Koch - The Big Flat Now
Bis 19.10.19

--> Galerie Steinek
curated by_ Jürgen Tabor - Gil Yefman - Kibbutz Buchenwald
Bis 12.10.2019

Mehr Texte von Werner Rodlauer

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