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Durch Mauern gehen: Von Mauern in Köpfen und anderswo

Man könnte sagen, dass die Ausstellung „Durch Mauern gehen“ bereits vor dem Eingang des Gropius Baus beginnt: Nachdem das im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigte Gebäude 1981 wiedereröffnet wurde, blockierte die hier entlanglaufende Mauer – deren Überreste ein paar Meter weiter heute an den vergangenen Zustand des Getrenntseins erinnern – den Eingang, so dass dieser auf die Südseite verlegt werden musste. Erst zehn Jahre nach dem Mauerfall öffnete sich das Hauptportal in der Niederkirchnerstraße wieder für die Besucherinnen und Besucher. Man geht also durch offene Türen wo dereinst Beton die Stadt in Ost und West teilte. So wird das Betreten des Gebäudes zu einem sinnbildlichen Akt, und zwar ganz im Sinne der Ausstellung, die „(…) uns daran erinnert, dass es in der Natur von Mauern liegt, eines Tages zu fallen.“

Während heute in der unmittelbaren Umgebung des Gropius Baus Touristen von einer Stätte der ehemaligen Teilung (z.B. Checkpoint Charlie) und Ausgrenzung (u.a. die ehemalige Gestapo-Zentrale) zur nächsten pilgern, werden drinnen die Auswirkungen realer und metaphorischer Spaltungen untersucht. Ausgangspunkt, aber längst nicht einziger Bezugspunkt dieser Auslotung ist der 30. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer am 9. November – daneben bieten Vergangenheit und Gegenwart zahlreiche weitere Beispiele für Teilungen, seien sie nationalen, wirtschaftlichen, geschlechtsspezifischen oder rassistischen Ungerechtigkeiten geschuldet.

Es mag die Natur von Mauern sein, eines Tages zu fallen – sie tun dies jedoch durchaus nicht immer von selbst, sondern in Folge massiver Anstrengungen und Auseinandersetzungen. Und solche werden zuweilen an Runden Tischen ausgetragen, jener symbolischen Tischordnung, deren Zweck es ist, abweichende Interessen in Einklang zu bringen.

Dieses Bild des Runden Tisches wird in José Becharas Arbeit „Ok, Ok, Let’s Talk“ (2006-2019) im ersten Raum der Ausstellung konterkariert: Vierundzwanzig Holztische stehen dicht an dicht nebeneinander, bilden eine ungleichmäßige, raumgreifende Fläche, die durch einige leicht schräg gestellte Tische unterbrochen wird. Dazwischen ragen die Lehnen zweier eingezwängter Stühle hervor. Die Installation lässt an eine festgefahrene Situation denken, an nottuende, jedoch nicht stattfindende Kommunikation und an Differenzen, die durch den fehlenden Austausch genährt werden. Hier müssen Barrieren überwunden werden, die nicht zuletzt in den beteiligten Personen selbst zu finden sind. Auf diesen Aspekt spielt Dara Friedman in ihrem Video „Whip Whipping the Wall“ (1998-2002) an. Mit einer Peitsche drischt sie auf eine Wand ein, bis sich die Tapete ablöst und das darunter liegende nackte Mauerweck zum Vorschein kommt. Obschon die Trachtprügel nur einer Wand gilt, geht von den wiederholten Peitschenhieben ein Schmerz und eine emotionale Anstrengung aus, die zuweilen nötig ist um persönliche Barrieren zu überwinden.

Um eine Differenz und Trennung ganz anderer Art geht es in Michael Kviums großformatigem Ölgemälde „Beach of Plenty” (2017): Hier nimmt das Meer die Funktion einer zwei unterschiedliche Lebenswelten trennenden Mauer ein. Die Szenerie zeigt einen Badestrand; im Vordergrund ein aufgespannter Sonnenschirm, ein Liegestuhl, Utensilien für einen unbeschwerten Tag am Meer. Zwei Frauen und ein Mann wenden der Betrachterin den Rücken zu, ihr Blick ist auf das Geschehen auf dem Meer gerichtet, wo ein Schlauchboot mit Geflüchteten soeben im Begriff ist, an Land getrieben zu werden. Eine über Bord gegangene Person hebt hilfesuchend den Arm aus der weißen Gischt, während der Strandbesucher unbeteiligt die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Man wünscht sich beim Betrachten der Arbeit, dass das Motiv der Fantasie seines Schöpfers entspringen möge und nicht auf einem fotografischen, die Wirklichkeit tatsächlich wiedergebenden Bild basiere. Doch selbst wenn es so wäre, selbst wenn „Beach of Plenty” nicht ein Pressebild als Vorlage hätte – man weiß es doch besser. Man kann sich der Tatsache, dass sich Szenen dieser Art an den Mittelmeerstränden abspielen, nicht verschließen. Und tut es doch so oft. Und so führt diese Arbeit noch eine andere Art der Mauer vor Augen: nämlich die innerliche Brandschutzmauer, die zuweilen heruntergelassen wird, wenn sich Bilder der sogenannten „Flüchtlingskrise“ auftun und um so die eigene Realität, den eigenen Alltag von dem Leid der Anderen abzutrennen.

Widerfahrenes Leid wird zum Inhalt von Javier Téllez‘ „Shadow Play“ (2014), einem – der Titel sagt es schon – Schattenspiel, in dem es um die Erfahrungen konkreter Ausgrenzung und Vertreibung geht, von denen Asylbewerber*innen unterschiedlicher Herkunft berichten. Die reduzierten, eindringlichen Bilder erzählen nicht zu viel und nicht zu wenig, deuten Geschichten an, ohne sie im Detail auszuführen – es ist nicht nötig. In den Schatten der Darstellenden vermischen sich Anonymität und Persönlichstes: von Unterdrückung, Inhaftierung, Tod und ersehnter Freiheit geprägte Erlebnisse.

Der Geschlechtertrennung und Unterdrückung der weiblichen Sexualität innerhalb patriarchaler Strukturen widmet sich die in Saudi Arabien geborene Künstlerin Reem Al Nasser in ihrer Videoinstallation „Outside Inside“ (2019): körperlose Hände versuchen verschiedenste Schlösser und Tore zu öffnen, wobei die Bewegungen der Finger mal heftig, mal sanft sind und so zwischen Gefügigkeit und Aufbegehren changieren.

Während draußen die einst trennende Mauer heute selbst eingezäunt ist um sie so vor Souvenirjägern und dem vollständigen Verschwinden zu bewahren, erinnern in der Ausstellung acht Schwarz-Weiß-Fotografien an den Fall der Berliner und die unmittelbare Zeit danach. Sibylle Bergemanns Aufnahmen entstanden zwischen November 1989 und dem Frühjahr 1990 und halten Alltagssituationen der im Wandel begriffenen Stadt fest.

Im hinteren Raum der Ausstellung bildet Smadar Dreyfus‘ Video-Installation „Mother’s Day“ (2006-2008) einen eindringlichen Abschluss. Die Aufnahmen entstanden in den Golanhöhen, die seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 zum größten Teil von Israel kontrolliert werden. Die hier lebende religiöse Minderheit der syrischen Drusen wird durch die syrisch-israelische Waffenstillstandslinie von Syrien getrennt. Am „Mother’s Day“ kommen syrisch-drusische Studierende, die dank einer Vereinbarung mit der Universität in Damaskus studieren können, zu einem Aussichtspunkt, dem „The Shouting Hill“, dem Hügel der Schreie. Unter Bewachung militärischer Grenzposten und mit Hilfe von Megafonen rufen sie ihren Müttern auf der anderen Seite der Pufferzone Muttertagsgrüße und liebevolle Gesänge zu. Die Bilder und Töne der Video-Installation hallen auch dann noch nach wenn man schon längst auf die Straße vor dem Gropius Bau getreten ist, wo auch einmal eine Mauer nicht nur eine Stadt sondern Familien trennte.

Mehr Texte von Ferial Nadja Karrasch

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Durch Mauern gehen
12.09.2019 - 19.01.2020

Gropius Bau
10963 Berlin, Niederkirchnerstr. 7
Tel: +49 30 25486-0, Fax: +49 30 25486-107
Email: post@gropiusbau.de
http://www.gropiusbau.de
Öffnungszeiten: Mi-Mo 10-20 h


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