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Über die utopische Qualität des Spiels (und seine unausgesprochenen Übereinkünfte)

Daniela Kostovas Verhüllung des Ringturms

Das Risiko, das eine Gesellschaft ihren Kindern zumutet, um aus eigenen Erfahrungen zu lernen, ist wohl ein Maß, mit dem das Verhältnis der Menschen zum Unbekannten ausgelotet werden kann. Wiederkehrend beschäftigt sich Daniela Kostova mit der Frage, was „safe play“ in verschiedenen kulturellen und sozialen Kontexten bedeutet. Das Thema scheint untrennbar mit den Perspektiven und Widersprüchen in ihrer eigenen aktuellen Lebenswelt verknüpft, die sie fortwährend hinterfragt und untersucht. Beispielsweise scheinen die Modi von Spiel und Herausforderung in ihrer Wahlheimat USA jener Sicherheit fetischisierenden Kultur geschuldet, in der sie ihr Kind aufwachsen sieht, und in auffälliger Diskrepanz zu gängigen Auffassungen in ihrem Herkunftsland Bulgarien zu stehen. Alte Autoreifen, Seile, Schlamm oder offenes Feuer entsprechen hier ebenso wenig wie unbehandeltes Holz den Normen, die Spielzeug als unbedenklich ausweisen oder gar als der Entwicklung von Kindern förderlich. Und dennoch (oder gerade deshalb) sind es genau diese Elemente, die die Künstlerin in ihrer Multimedia-Installation Loose (2016) verarbeitet, um einen „gefährlichen Spielplatz“ für ihre Tochter und befreundete Nachbarkinder in Brooklyn zu konstruieren. Wie bereits in der etwas früheren Arbeit Play Date (2015) zeigt sie Kinder, die mit gefährlichen Gegenständen hantieren.

Dieser Hintergrund durchdringt nicht nur das Motiv von Kostovas aktueller Arbeit mit dem Titel Future Dreaming – die großflächige Rundumverhüllung einer Hochhausfassade, die die Künstlerin diesen Sommer im innerstädtischen Raum Wiens verwirklicht hat: Sie zeigt ein Kleinkind in einem Raumanzug und dazu ein Mobile, das unter anderem aus fliegenden Planeten besteht. Auch der doppelte Sinn des Ortspezifischen dieser Arbeit erschließt sich durch die oben genannten Dimensionen von Spiel, Risiko und Sicherheit. Denn das örtliche Display vermag diese Kategorien weiter aufzuladen – handelt es sich doch bei dem Gebäude, auf dem Kostovas Werk zu sehen ist, um den Firmensitz einer in Österreich und der Region Zentral- und Osteuropa sehr präsenten Versicherungsgruppe.

Die Künstlerin hat ihr Werk dem Gebäude angemaßt – seinem dreidimensionalen Volumen, seinem architektonischen Erscheinungsbild sowie den Blickbezügen auf die Fassade, die verschiedene Perspektiven in der Stadt bieten. Das Haus – ein bekanntes Landmark aus der Nachkriegszeit im Zentrum Wiens – wird damit zum Schauplatz einer ortspezifischen (weil maßgeschneiderten) künstlerischen Auseinandersetzung. Darüber hinaus offenbart sich das aufgrund seiner Lage an der Wiener Ringstraße als „Ringturm“ bekannte Gebäude als topos im übertragenen Sinn: Innerhalb der Wände, die Kostova bespielt, werden seit dem Zeitpunkt ihrer Errichtung Risiken errechnet und Versicherungsprodukte entworfen, die den demografischen, technischen und kulturellen Entwicklungen der jeweiligen Zeit Rechnung tragen.

Bei all dem bleibt offen, welches Spiel Kostova eigentlich vorführen will. Von der Hauptseite des Gebäudes aus erkennen wir zuallererst das Kosmonauten-Kleinkind, das uns mit wachen Augen entgegenblickt. Es hat den linken Mundwinkel weit nach oben gezogen – sein Gesichtsausdruck ist cool, beinahe abgeklärt. Anders als in den zuvor beschriebenen Arbeiten der Künstlerin erscheint das Kinderspiel diesmal harmlos. Schon allein deswegen, weil es einem offensichtlichen Motto folgt (wie anhand Verkleidung und anderer Versatzstücke leicht ablesbar der Raumfahrt) und dadurch einen nachahmenden, beinahe verklärenden Charakter annimmt. Es wird dadurch geradezu verharmlosend: Denn während reale Fahrten in den Weltraum von jeher mit erheblichen Risiken einhergehen, erzählt das hier dargebotene Setting des Spiels kaum von Unwägbarkeiten – nicht einmal in Form von Andeutungen. Worin liegt also die Spannung oder der Bruch mit dem Gewohnten, der uns einladen sollte, das Werk eingehender zu betrachten oder zumindest gedanklich ein Stück mit auf die Reise zu gehen?

Auf dem übergroßen Helm des Kindes nimmt eine weiße Taube Platz – ein Tier, das sich in vielfacher Abwandlung auf diversen Emblemen bemannter Weltraummissionen findet. Die Hinterseite des Hauses beherbergt wiederum das im Maßstab des Realen übergroße und raumgreifende Mobile, in dessen Gefüge einander ein Raumfahrer, eine Rakete sowie verschiedene Himmelskörper mitsamt Erde gegenüberstehen. Sowohl der symbolische Überbau – exemplifiziert am Vogel – sowie der verzerrte Maßstab, der die unerforschten Weiten des Sonnensystems in die Dimension eines Kinderspielzeugs hineinkomprimiert, geben Aufschluss darüber, dass hier wohl keine physische Reise eingeleitet werden soll, sondern etwas gänzlich anderes: Kostova will ein radikales Auszoomen andeuten, das die Erde (mitsamt ihrem jungen Bewohner) klein und verwundbar erscheinen lässt. Sie stellt damit nichts anderes als eine Erweiterung unserer Perspektive in den Raum: 50 Jahre nach der ersten bemannten Mondlandung (und dem erstmaligen Rückblick auf die Erde) will sie an die Fragilität unseres Planeten erinnern, der zukünftigen Lebenswelt unserer Kinder.

Doch zurück zum Spiel: Bei genauem Hinsehen wird deutlich, dass sich trotz der thematischen Ausstaffierung von Kostovas Playground keine Hinweise ergeben, dass der Raum, den die Künstlerin dem Kind als Bühne bereitstellt, tragfähig wäre für wirkliche Handlungen (oder zumindest ein immersives Spielerlebnis garantieren würde). Im Gegenteil, Kostovas Inszenierung scheint behelfsmäßig und unvollständig: Zu flach ist die hell ausgeleuchtete Umgebung des Kindes und der Schatten, den es an die Wand wirft, wirkt zu artifiziell, um glaubhaft zu sein. Die eigentliche Qualität der Arbeit kann also nur auf den Begriff gebracht werden, wenn wir die digitale Montage – und damit die Konstruiertheit des Bildes – als gleichberechtigten Mitspieler anerkennen. Denn gerade diese Fabriziertheit, die sich leitmotivisch durch weite Strecken von Kostovas Schaffen zieht, bildet den aktiven Kern ihrer künstlerischen Strategie: In einem Naheverhältnis zu Levi Strauss’ Bricolage – der spontanen Verwertung in situ vorhandener Mittel – erzeugt die Künstlerin Bilder, die Widersprüche, Konflikte und Ungereimtheiten in Form von Unvollständigem, ostentativ Offenem und Konstruiertem in sich bergen. Etwa dokumentiert Kostova in einem früheren Video (2003), welches bezeichnenderweise den Titel Fixing Reality trägt, unter Teilnahme zufällig anwesender Personen Versuche, einen portablen Blue Screen in verschiedenen öffentlichen Stadträumen in den USA zu installieren. Der Blue Screen, in der Filmtechnik zum Einblenden von Inhalten via Farbkanal verwendet, bezeichnet in ihrem Video eine Leerstelle – und, wie sich herausstellen soll, eine instabile Form, die für die Entfremdung des globalen Subjekts steht: Kostova füllt sie mit Bildern ihrer Heimat. Das Aufstellen der blauen Leinwand gestaltet sich nicht so einfach, der Screen ist wackelig und schlingert ebenso wie das Bild von Kostovas Herkunftsort Sofia, das an seiner Stelle eingeblendet wird.

Auf die Skyline der Wiener Innenstadt, aus der sich der Ringturm deutlich abhebt, wirkt sich Kostovas Intervention ebenso transformierend aus: Das Gebäude, bekannt für seine markante Antenne, an der Leuchtsignale bevorstehende Wetterveränderungen ankündigen, wird Teil der thematischen Kinderzimmer-Möblage und damit selbst zum Spielzeug mit monströsen Dimensionen. Nicht nur spiegelt sich Kostovas Motiv der Raumfahrt in der Vertikalität des Gebäudes wider: Mit seiner hochgezogenen Form und seinem spitz zulaufenden Mast wird der Turm selbst zur Mondrakete, zum entscheidenden Vehikel, das die Schwerkraft überwinden kann. So wie dies als Hinweis darauf gelten darf, dass jede maßgebliche Veränderung einer gewissen Vertikalspannung (oder eines Fluchtvehikels) bedarf, um vorherrschenden Kräften zu entkommen, lässt sich sinnfällig über den Zusammenhang zwischen dem Wettermast und der angedeuteten Makroperspektive des Planeten vor dem zeitaktuellen Hintergrund zunehmender Klimakatastrophen spekulieren.

Kostovas fassadengroßes Bild am Wiener Ringturm ist durchdrungen von Hinweisen auf seine Konstruiertheit und mehr noch: Die Künstlerin legt offen, mit welchen Materialien sie arbeitet und wie sie diese zusammengefügt. Die Himmelskörper entpuppen sich als Filzkugeln, die mehr den Anschein von ökologischem Kinderspielzeug als von Planeten haben. Sie sind angeknüpft mit einem haushaltsüblichen Garn an einem Gestänge, das aus abgesägten Messingstangen besteht, und somit wohl eher Bastelobjekt als Industrieware. Diese Nähte und Bruchstellen sind viel mehr als nur des Gesamteindrucks wegen in Kauf genommene Imperfektionen. Sie sind – wie oben angedeutet – wahrnehmbare Hinweise auf die Illusion des Spiels und als solche auch dessen Voraussetzung: Denn jedes Kind weiß insgeheim über den vorführenden Charakter des Spiels Bescheid, handelt es sich doch um eine unausgesprochene Übereinkunft – eine quasi konsensuale Illusion. Und ist nicht das wissentliche Auseinanderklaffen von Spiel und Realität genau jener Widerspruch, der das Spiel produktiv werden lässt und somit Träume erst ermöglicht?

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Daniela Kostovas Ringturmverhüllung ist noch bis zum 18.August zu sehen.

Mehr Texte von Philippe Batka

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