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In der Enge des Sonderlings

Graue Kehlbalken tragen den grob gezimmerten Dachstuhl. Die Hütte ist klamm, brüchig und sperrig. Auch das wenige Licht ist kalt. Eine männliche Figur sitzt gebückt in dem morschen Raum. Sie trägt eine lederne Weste, ein blassgrünes Hemd und die Hose bis über die Schenkel hinab gezogen. Sie defäkiert in einen Leibstuhl. Er ist aus Brettern getischlert. Zwischen den Holzlagen ist ein weißer Topf eingeklemmt. Ähnliche stehen im Vordergrund. Sie sehen wie klobige Klobürsten aus oder eingeweichte Pinsel. Hinter dem Mann befindet sich ein Stoß verbrauchter Zeitungen, vor ihm eine Leinwand, auf der er eine Figur skizziert hat. Sie hält die Hand erhoben, vielleicht zum Hitlergruß, vielleicht aber auch nur, weil sie die Geste des Malers spiegelt, der das Bild mit der linken Hand fixiert.

Neo Rauch hat dieses Bildnis gemalt. Es ist nicht ganz sicher, ob es ein Portrait oder gar ein Selbstbildnis ist. Denn der Maler malt ein Bild eines Malers, der ein anderes malt. Dabei malt der gemalte Maler jemanden, der ihm aus seinem Bild antwortet. Neo Rauch nennt das Gemälde »Der Anbräuner«. Doch wer wen durch den Kot zieht, ist verworren. Auf jeden Fall greift Rauch die deutsche Malerei auf. Und zwar in ihrer ganzen Bandbreite. Er zitiert Spitzwegs armen Poeten, Beckmanns kubistische Kammern, wahrscheinlich Blinky Palermo, der einmal empfahl, ein blaues Dreieck über der Tür zu malen und wie immer den sozialistischen Realismus der DDR. Nicht zuletzt zitiert er sich selbst, denn politisch kontaminierte Bilder sind Teil seines Œuvres.

Nach Hans Blumenberg sind es die Sonderlinge, die sich in karge Gehäuse zurückziehen. Er nennt »Hieronymus im Gehäus« von Albrecht Dürer oder die Geschichte von Diogenes in der Tonne. Auch wenn dies Gelehrte sind und keine Maler, so gilt dennoch, dass sie sich in Klausuren verbergen, um sich vor der Vereinnahmung durch die Konventionen zu schützen. Ihr Selbstwert ist der von Tabubrechern. Neo Rauch spielt mit diesem Topos. Er sieht sich als künstlerischer Rebell, schraubt den Ekel-Level hoch und denkt das Gemälde als Karikatur. Doch so einfach ist es nicht. Nicht wenige Statements weisen ihn als Künstler rechts der Mitte aus. Das färbt ab und treibt ihn in die Enge, denn prominente Ausstellungshäuser gehen auf Distanz und Kampfansagen - wie kürzlich gegen die “Gesinnungsethik” - nutzen sich ab.

Und so wäre das Bild wohl nicht weiter wahrgenommen worden, wenn die Leinwand, die der Maler vor sich hält, nicht mit »W.U.« signiert wäre. Es sind übereinander verkeilte Hacken, geschrieben aus Exkrementen, die er aus seinem Gesäß hervorholt. Eine Idee übrigens, die die Wiener Gruppe “Gelitin” einmal als fotografisches Alphabet realisierte. Aber abgesehen davon: Nicht wenige meinen, dies sei eine Anspielung auf den Kulturtheoretiker Wolfgang Ullrich, der in einem Zeit-Essay zuvor kritisch Neo Rauchs politische Rolle erwähnte. Mit den Fäkalien als Pigment konfrontiert, reagiert Ullrich gelassen und wie gewohnt mit einer pointierten Beobachtung. Im Interview mit dem Deutschlandfunk sagt er: “Ich finde, diese aufgespaltene Figur legt nahe, dass er (Neo Rauch) das, was er malt, eben gar nicht als seine freie Entscheidung ansieht, sondern sozusagen seine wahre Identität nur noch als schattenhaft empfindet und sich eben in diese andere Rolle gedrängt fühlt – und deshalb dann auch das macht, was man in dieser Rolle von ihm erwartet, nämlich irgendwelche Nazis malt, sich aber auch verfolgt fühlt.

Das Gemälde wurde dieser Tage bei einer Benefiz-Veranstaltung im Anschluss an ein Golfturnier versteigert, bei der Neo Rauch anwesend war. Es kostete 750.000.- € und war damit das höchste Gebot bei dieser Auktion. Das zweithöchste waren mit 100.000.-€ zwei T-Shirts der Influencerin Cathy Hummels und der RTL-Reporterin Franca Lehfeldt, die diese beim diesjährigen New York Marathon tragen wollen.

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Abbildung: Neo Rauch, Der Anbräuner, 150 x 120 cm, 2019, © Bildrecht, Wien 2019

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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