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Kunst ⇆ Handwerk: Position ⇆ Beziehung

"Traditionen und kulturelles Erbe müssen immer wieder verhandelt werden.", ist die in Graz und New York lebende Künstlerin Azra Akšamija überzeugt und tut genau das, wenn sie in ihren Arbeiten danach fragt, wie sich kulturelle Erfahrungen und Wissen austauschen und bewahren lassen. Dass das Handwerk als Träger dieser Erfahrungen und des über Generationen weitergegebenen Wissens dabei eine bedeutende Rolle spielt, zeigt sie mittels Monument in Waiting, einen von bosnischen Frauen gewebten Kelim, der die Geschichte ihrer Vertreibung und des Massenmords in Bosnien-Herzigowina erzählt.

Das Interesse zeitgenössischer Künstler*innen am Material, an (kunst-)handwerklichen Verfahren, am Experimentieren mit Materialien und Techniken ist das Thema der von Barbara Steiner kuratierten Ausstellung „KUNST HANDWERK“ im Kunsthaus Graz, die sich zwischen Tradition, Diskurs und Technologien positioniert. Künstlerische Beiträge von Olaf Holzapfel, Johannes Schweiger, Antje Majewski und Olivier Guesselé-Garai, Slavs and Tatars, Plamen Dejanoff, Jorge Pardo, Haegue Yang sowie Azra Akšamija fordern kulturelle Zuordnungen, Identitätskonzepte oder Kategorisierungen und die Besucher*innen heraus.

Neben bunten Wandteppichen, auf denen nicht nur Ornamente und Symbole, sondern auch Botschaften wie DEATH WITHOUT DEATH / YOUTH WITHOUT YOUTH / AGE WITHOUT AGE; HELP THE MILITIA – BEAT YOURSELF UP!; SELF-MANAGEMENT BODY – YOUR FATE IN YOUR HANDS oder BEWARE THE ANTI-IMPERIALIST IMPERIALIST zu lesen sind, beschallt ein davor installierter Lautsprecher den Ausstellungsraum mit einer Rezitation eines Gedichts durch einen Muezzin. Gegründet 2006, ist das polnisch-iranische Künstlerpaar Slavs and Tatars in Berlin ansässig, arbeitet sich medien- und genreübergreifend als „eurasisches“ Kollektiv an gesellschaftlichen Zusammenhängen ab und verortet sich politisch, wenn sie die Beziehungen zwischen Religion, Macht, Sprache und den damit verbundenen Identitäten analysieren. Der gezeigte Zyklus Friendship of Nations: Polish Shi’ite Showbiz spannt einen Bogen vom Sarmatismus¹ des 17./18. Jahrhunderts über die Iranische Revolution bis hin zum Zusammenbruch des Kommunismus in Polen und zur „Grünen Bewegung“ in Iran. Ihr Interesse am Handwerk liegt an dessen Bedeutung als „Bürger*innen-Diplomatie“: Weil Kunsthandwerk und Handwerk im Alltäglichen verankert sind, wirken sie unterschwellig und können so zu unauffälligen Trägern einer kulturpolitischen Verständigung und auch zu einer Kritik an herrschenden Systemen werden.

Der österreichische Künstler Johannes Schweiger hingegen untersucht die materiellen Eigenschaften wie etwa von Filz, Leinen und Jacquard, bestimmte Verarbeitungstechniken wie Weben und Filzen und deren gesellschaftliche Kontexte. So geht seine Installation Nostalgie für Obsoleszenzfreunde der veränderten Wahrnehmung von Leinen nach, das von einem einfachen Stoff zu einem hochwertigen Heimtextil und damit zum Träger eines neokonservativen Lebensstils wurde.

Politische Instrumentalisierung von Handwerkstechniken im Bezug auf Ideen von Heimat, Volkskunst und Traditionen sind dabei ebenso zur Diskussion gestellt wie „ein gestiegenes neokonservatives Qualitätsbewusstsein“ und der sogenannte „Craftism“.

Der Ausstellungstitel selbst deutet eine Beziehung von Kunst und Handwerk an, lässt die beiden Begriffe jedoch getrennt voneinander stehen und erzählt „von diesen, im Grunde über Jahrhunderte gehende Austauschverhältnissen und Positionswechseln in den Hierarchien von Kunst und Handwerk, Handwerk und Kunst“. Die Ausstellung fragt danach, wie heute „ein fruchtbarer Dialog zwischen Kunst und Handwerk aussehen könnte und rückt beide in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang“. Vage bleibt jedoch der Anspruch, Bedeutung und Wertschätzung des Handwerks als wesentlichen Bestandteil materieller Kultur, kultureller Identität und Gemeinschaft festzumachen, die im Falle der Ausstellung mit sozialen sowie ökonomischen Verhältnissen in einer globalisierten Welt zusammen gedacht werden sollen, denn inmitten der Vielzahl an Materialien und Texten ist es nicht einfach sich als Besucher*in zu orientieren. Einerseits ist man bemüht eine Erzählung herauszulesen, andererseits scheint man sich stetig an den Grenzen der Oberflächen zu stoßen. Von aufwändigen Steinmauern (Plamen Dejanoff) über raumgreifende schwarze Stahlkreaturen mit Kunststoffzwirn umwickelt (Haegue Yang), die sich „jeglicher eindeutigen Identität entziehen und sich bewusst undurchsichtig geben“, bis hin zu Strohdächern als Display (Olaf Holzapfel) wird eine breite Palette an Ausdrucksmitteln gezeigt, die sich unentwegt am Titel der Ausstellung zu reiben scheint. So gibt die Aneinanderreihung, Aufzählung und Gegenüberstellung, gleich Yangs verschiedener Materialitäten in ihrer Skulpturenserie The Intermediates, ein Vehikel einer hybriden Identität zu erkennen. Die Fluidizität und Opazität der schwerelosen und nicht-hierachischen Anordnung macht schließlich einen diasporischen Raum auf, worin ihr Vorschlag vielmehr als ein Appell gelesen werden sollte: „Eine universelle Synthese durch Vermittlung, die nur im Raum zwischen den einzelnen Kulturen geschaffen werden kann.“


1) Als Sarmatismus, auch „polnischer Orientalismus“ genannt, bezeichnet man die Kultur polnischer Adeliger im 17. und 18. Jahrhundert. Sie führten ihre Herkunft auf das Volk der Sarmaten zurück, eine Konföderation mehrerer Stämme von iranischen Reitervölkern.

Mehr Texte von Bettina Landl

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Kunst ⇆ Handwerk
15.11.2019 - 16.02.2020

Kunsthaus Graz
8020 Graz, Lendkai 1
Tel: +43/316/8017-9200, Fax: +43/316/8017-9800
Email: info@kunsthausgraz.at
http://www.kunsthausgraz.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr


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