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Am Vorabend der wilden zwanziger Jahre

100 Jahre Revolution in Berlin

Wie die Historie jedes Mal aufs Neue vorführt: Nach dem Krieg ist vor dem Krieg und in diesem Falle sah es dazwischen auch nicht unbedingt rosig aus. Berlin, Herbst 1918: Wie überall waren die Menschen auch hier kriegsmüde und lebenshungrig. Doch nun, sozusagen am Vorabend der wilden zwanziger Jahre ging es an der Spree wenig friedlich zu. Ausgehend von Wilhelmshaven und Kiel, wo sich Matrosen geweigert hatten, sich ehrenvoll im letzten Gefecht versenken zu lassen, entwickelte sich der Aufstand zur Revolution, die schließlich die Hauptstadt Berlin erreichte und zur Abdankung des Kaiser Wilhelm II. führte. Wie viele Schicksalstage in Deutschland schrieb man auch 1918 den 9. November.

In Berlin indes formierten sich noch im selben Monat Künstler zur Novembergruppe. Die Künstler beider Geschlechter mochten Vertreter des Kubismus, Futurismus, Expressionismus, Dada oder der Neuen Sachlichkeit sein, was sie einte, waren keinerlei stilistische Kriterien, sondern vielmehr ein gewisser Bildungsauftrag. Die Gesellschaft der eben ausgerufenen Weimarer Republik war durch das Ende des Kaiserreiches im Wandel begriffen und die Novembergruppe wollte ganz aktiv an einer Demokratisierung der Kunstöffentlichkeit teilhaben. Sie setzte auf die „engste Vermischung von Volk und Kunst“ und forderte in ihre Richtlinien Einfluß und Mitarbeit in Fragen des Städtebaus, Künstlerausbildung, Museen und Kunstgesetzgebung. Jene im Jänner 1919 formulierte Liste an Forderungen der Novembergruppe erstaunt heute noch ob ihrer Aktualität. Die Übergangsregierung konnte derlei Ideen einiges abgewinnen, so entwarfen Mitglieder der Novembergruppe Plakate für deren Werbedienst.

Um die 40 Ausstellungen, an denen sich knapp 500 Künstler beteiligten sind es in den Jahren zwischen 1918 und 1935 geworden, es wurde zudem in Zeitschriften publiziert, man zeigte sich offen für Architektur, Film und Literatur, zudem müssen die Feste der Gruppe legendär gewesen sein. Im Jubiläumsjahr 2018 zeigt die Berlinische Galerie nun erstmals eine eindrucksvoll wie umfassend aufgearbeitete Zusammenschau in die Aktivitäten der Gruppe, an der sich neben bekannten Namen wie Max Pechstein, Georg Scholz oder Hannah Höch zahlreiche Kunstschaffende beteiligten, die wieder zu entdecken wären.

Während hierzulande ebenfalls dem Ende des ersten Weltkrieges sowie der Tod von Otto Wagner, Gustav Klimt, Egon Schiele und Kolo Moser mit zahlreichen Aktivitäten gedacht wurde, haben in Berlin etliche Institutionen unter dem Motto „Auf zur Revolution“ das Format „stadtweites Gemeinschaftsprojekt“ gefunden. Wie nah in dieser Zeit die politische Wirren, Straßenkämpfe und der Wunsch nach hemmungsloser Zerstreuung beieinander lagen, zeigt die Ausstellung „Berlin in der Revolution“ im Museum für Fotografie. Willi Römer, wahrscheinlich der bekannteste der fotografierenden Chronisten dieser Tage, und seine Kollegen dokumentierten aus nächster Nähe Demonstrationen und Waffen-unterstützte Konfrontationen, schaulustige Menschen, die gleich Krähen in Baumkronen sitzen, Buben, die aus Ermangelung des öffentlichen Verkehrs ihren Schulweg auf Rollschuhen bestreiten. Doch verrät der Untertitel der Ausstellung, dass neben der Fotografie ebenso Film und Unterhaltungskultur thematisiert werden. Berlin auf dem Weg zur Filmmetropole, Berlin die Stadt der Varietés und Tanzvergnügungen. Neben Film- und Hörbeispielen, Plakaten und Programmheften lassen sich entsprechende Hinweise auch mittels Lupen auf den Werbeflächen des Urbanen auf den S/W-Fotografien ausmachen. Das fällt auch Harry Graf Kessler in seinen Tagebucheintragungen für den 2. Februar 1919 auf. Er notiert über „neue kommunistische Putschpläne“ in verschiedenen Zeitungen, um im nächsten Satz zu bemerken: „Gleichzeitig steht an den Litfaß-Säulen: Ganz Berlin tanzt und dreht sich an jedem Mittwoch, Donnerstag, Sonnabend, Sonntag in dem neueröffneten, eleganten ‚Fox-Trott-Casino‘ Friedrichstrasse 105 an der Weidendammbrücke (Hotel Atlas). Jeden Sonntag von vier bis sieben Uhr Tanztee (Danse intim).“

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Freiheit. Die Kunst der Novembergruppe 1918 – 1935
Bis 11. März 2019
--> Zur Website

Berlin in der Revolution 1918/19. Fotografie, Film, Unterhaltungskultur
Bis 3. März 2019

--> Zur Website

Gemeinschaftswebsite zu 100 Jahre Revolution in Berlin
-->100jahrerevolution.berlin

 

Mehr Texte von Daniela Gregori

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