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Das Erbe der kulturellen Arroganz

Sie hockt auf den Knien, die Arme liegen auf den Oberschenkeln auf, der schwraz bemalte Kopf ist gesenkt, die Augen scharf umrandet. Die etwa ellenhohe Figur aus Holz stammt von den Nikobaren, einer Inselgruppe in Indien. Die mit Kalk geweißte Figur kam durch die so genannte Novara-Expedition 1858 nach Wien. Ein Saal im Mezzanin des “Weltmuseums” widmet sich der kolonialen Geschichte des Habsburgerreiches. Der Saaltext beginnt mit einer Richtigstellung. „Die Ansicht, dass Österreich keine Kolonialgeschichte hat, gilt längst überholt. Das Land profitierte von der europäischen Expansion und war Teil des kolonialen Systems. Trotz mehrfacher Versuche besaß Österreich in Übersee zwar keine bedeutende Kolonien, war aber am kolonialen Projekt stark beteiligt und liebäugelte immer wieder mit Landbesitz auch außerhalb Europas.“ Tatsächlich ist der Kolonialismus im öffentlichen Diskurs des Landes kaum Thema. Der Imperialismus sei hierzulande unter der Geringfügigkeitsgrenze geblieben, so heißt es. Das Weltmuseum bemüht sich um eine Korrektur. Diese Richtigstellung ist gerade in Zeiten einer konservativen Regierung ein wichtiges Signal – auch wegen der vielen Orientalismus-Ausstellungen, die die Stadt begeistern, wie kürzlich die “Faszination Japan. Monet Van Gogh Klimt” im Kunstforum Wien.

Zurück zur Statuette. Das Souvenir war kein Zufallsfund, eher belegt es die zeittypische Allianz von exotischem Begehren und ökonomischen Expansionsinteresse. Die Fregatte Novara brach zu einer großangelegten Weltumsegelung auf, sie war Teil der Kriegsmarine. Der Auftrag war eindeutig. Es ging um Auslotung wirtschaftlicher Möglichkeiten und um Erwerb kolonialer Besitztümer. Im Indischen Ozean hielt man sich länger auf. Die Nikobaren waren vielversprechend. Ich habe „Der Name der Insel Teressa, zu Ehren Maria Theresa so benannt, erinnert bis heute an die koloniale Präsenz der Österreicher.“ (Wandtext) Die Verwicklung des Vielvölkerreichs begann schon etwa hundert Jahre früher. Sie setzte während der Regentschaft der Kaiserin im 18. Jh mit der Gründung der „Ostindischen Handelskompanie“ ein, die allerdings bereits 1785 in Konkurs ging. Eine Fortsetzung fand sie beim Wiener Kongress und seinen Entscheidungen bezüglich der Machtverhältnisse europäische Großreiche in Afrika, Asien und den Amerikas. Weiter ging es mit der Gründung einer Mission in Zentralafrika, sowie mit dem Engagement beim Bau des Suezkanals, zu dessen Eröffnung 1869 Kaiser Franz Joseph höchstpersönlich anreiste. Österreich war gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Seehandelsmacht im Mittelmeer und profitierte von der neuen Route. Schließlich brach der spätere Thronfolger Franz Ferdinand zu einer Weltreise in den Jahren 1892-93 auf. Zuvor bereiste er noch die antiken Stätten in Griechenland. Europe comes first. Dass sich diese Geschichte bis heute niederschlägt, untermauert eines der vielen Kurzvideos, die die Ausstellung begleiten. „Das Erbe einer kulturellen Arroganz ist uns bis heute geblieben.“, sagt etwa Walter Sauer, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Uni Wien.

Stollwerck

Möglicherweise zu vergleichen wäre der Abschnitt im Weltmuseum mit Ausstellungen, die Fragen des Kolonialismus in den Kunstkontext einbringen. Als Beispiel sei die Ausstellung „König der Tiere“ in der Frankfurter Schirn genannt, die eine Retrospektive Wilhelm Kuhnerts zeigt. Kuhnert, leidenschaftlicher Jäger, malt die Wildtiere im damaligen Deutsch-Südostafrika, lebensgroß und lebensecht. Ihre Berühmtheit verdanken diese Gemälde einer erstaunlichen Darstellungswahrheit. Löwen zeigen sich detailgetreu auf Breitformaten wie von späteren Safari-Dokus oder Hollywood-Streifen aufgenommen. Der Maler als Zeuge fremder, faszinierender Natur. Doch auch Kuhnert agierte nicht ohne rassistische Vorbehalte, wenn auch in Selbstbeauftragung. Wie sehr seine Sujets in das kollektive Bildgedächtnis einfließen, zeigt ihre Verwendung im Kommerz. Die Bilder Kuhnerts dienten als Illustration für Stollwerck Schokolade und wurden zum begehrten Sammelgut. Der Katalog mit einem vorzüglichen Text des neuen Schirn Direktors, Philipp Demandt, schafft die nötige Distanz, um dem Phänomen Kuhnert nicht nur bildlich, sondern auch historisch und politisch beizukommen. Allerdings erschließt sich diese Aufklärung nicht wie in Wien direkt neben den Bildern, sondern erst in der ausführlichen Lektüre nachher.

 Kuhnert

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Abbildungen

Weibliche Figur, Weltmuseum Wien, Sammlung S.M. Fregatte Novara, Holz bemalt, 1858, Copyright: KHM-Museumsverband

Ausstellung; König der Tiere. Wilhelm Kuhnert und das Bild von Afrika, Schirn Kunsthalle Frankfurt, noch bis 27. Januar 2019
Giraffe, Sammelkarte nach einem Entwurf von Wilhelm Kuhnert, aus: Stollwerck-Sammelalbum Nr. 6: Stollwerck’s Tierreich, 1903/04, Farbautotypie, 4,8 × 9,2 cm, Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln
Ausstellung; König der Tiere. Wilhelm Kuhnert und das Bild von Afrika, Schirn Kunsthalle Frankfurt, noch bis 27. Januar 2019
Wilhelm Kuhnert, Die Strecke (Selbstporträt), 1915, Öl auf Leinwand, 122.7 × 199 cm, Privatsammlung, Foto: Marc Richter

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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