Werbung
,

gelatin - beyond hard: Hard facts but fake realities

Das Phänomen gelatin beruht darauf, dass dieses „Quartett Infernal“ seit 1993 immer noch, trotz mehrfacher Skandale, besteht und sowohl lokal als auch international in der Kunstszene weiter störend präsent ist. In einer Zeit, in der sich jede/r ständig upgraden und updaten muss, schafft gelatin scheinbar mühelos das erforderliche Level der Selbstoptimierung als inneren Modus spannend beizubehalten. Getragen (noch) von dem utopischen Wunsch die Welt durch die Schaffung einer neuen Kunstsprache - hier einem neuen Zugang zur Skulptur - zu verändern, zählen die Wiener Künstler zu den Erneuerern, ja, sogar zur ihren Erfindern: performativ, experimentell, forschend, provokativ, Grenzen, Tabu und soziale Normen auf eigene Gefahr verlässlich sprengend. Sie sind die blutlosen Aktionisten der Stunde: faszinierend und abstoßend, spielerisch, aleatorisch und körperlich einnehmend, so dass man sich beim Anschauen ihrer Kunstproduktionen und animalischen Auftrittsweisen sofort von der Menge und Verspieltheit mitgetragen fühlt. Kein Wunder, dass man jeder ihrer „Ausstellungen“ ungeduldig entgegensieht: Geht das Spiel noch weiter?

In ihrer aktuellen Show „Beyond hard“ findet sich dies alles wieder, wobei einiges anders erscheint. Eine merkwürdige Wende beginnt sich abzuzeichnen. Bis dato hatte gelatin mehrfach brutale und obszöne Ideen oder Konzepte, die mithilfe von „niedlichen“ und weichen Materialien wie Wolle, Plastilin oder recycelten Möbelstücken umgesetzt wurden, wodurch das Endergebnis einigermaßen abartig-infantil anmutete, um nicht zu sagen, zu wenig erhaben. Es hat Künstlern vielleicht Spaß gemacht, nicht allzu „hard“ ihr Publikum zu unterhalten, dennoch immer weich ist auch hart.

Bei Meyer Kainer ist der hohe weiße Galerieinnenraum wie ein antiker Tempel von konzentriert wirkenden, weißen Büsten-Monumenten dicht wie ein Labyrinth besetzt, so dass man rasch verleitet wäre, Schein mit Sein zu verwechseln. Die Verwirrung weicht einer gewissen Ratlosigkeit, tritt man näher an die Gebilde heran. Statt Gesichtern offenbaren sie zwei Hinterköpfe samt sorgfältig geformter Frisuren – eine Art introvertierter „Janusköpfe“ ­– oder einen Programmierfehler im 3D-Druck Format darstellend. Die auffälligen Frisuren der Halbgeschöpfe reichen von einem bezaubernden Pferdeschwanz (wie bei Picassos Porträt von Sylvette David) bis zum schwanzähnlichen dickem Kahlkopf mit Nackenfalten à la Lucian Freud. Die nicht haargenau symmetrisch gespiegelten Büsten blicken gesichtslos in einen sie spaltenden, hautdünnen Gips-Spiegel bzw. eine Bewusstseinsschwelle ins Nirgendwo und sind als Gipsabgüsse im Styropor manuell und materialmäßig homogen als Negative angefertigt. Die programmierte Künstlichkeit ihrer phantomhaften Existenz wird durch die offensichtliche Faktur der lückenhaften Silhouette getarnt. Die spektakulären Skulpturen vermitteln teilweise den Eindruck als wären sie die mit rohem Pigment behandelte monochrome Malerei. Körperöffnungen, Extremente und nackte Geschlechtsteile treten in der aktuellen gelatin-Show diskreter denn je zuvor bzw. gar nicht auf und anstatt üblicher Perversionen entfaltet sich so etwas wie eine (mürrische) Vision, die ob ihrer absurden und verdrehten Ikonographie Unruhe und das Gefühl erhöhter Ernsthaftigkeit stiftet.

Die Grenze zwischen Kinder- und Erwachsenspielen (oder Kämpfen?) und auch jene zu einem alternativen Bewusstsein kann sich ganz schön durchlässig gestalten, aber man weiß nicht so genau, wie weit dieser Übergang fortgeschritten ist. Immerhin vermittelt die Ausstellung auch eine Ahnung davon, was da noch kommen könnte.

Mehr Texte von Goschka Gawlik

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

gelatin - beyond hard
18.01 - 02.03.2019

Galerie Meyer Kainer
1010 Wien, Eschenbachgasse 9
Tel: +43 1 585 72 77, Fax: + 43 1 585727788
Email: contact@meyerkainer.com
http://www.meyerkainer.com
Öffnungszeiten: Di-Fr 11-18, Sa 11-15h


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: