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Was euch am Leben hält, ist, was bei uns zu Asche zerfällt: Rechts(d)ruck

Unter dem martialischen Titel „Was euch am Leben hält, ist, was bei uns zu Asche zerfällt“ - ein Graffiti aus der rechten Szene - stellt die Galerie KOW jetzt 10 künstlerische Arbeiten vor, die als engagiertes Statement gegen den grassierenden Rechtspopulismus und seiner aktuellen Auswüchse z. B. in Chemnitz zu lesen sind. Alice Creischer etwa stellt u.a. ihre Arbeit „Untitled“, 1992, vor, die das Cover einer großen deutschen Boulevardzeitung zeigt, auf dem Headlines wie „Asylanten jetzt auf Schulhöfe – jede Minute kommen zwei neue“ gedruckt sind. Diese Titelseite hat die Künstlerin dann mit Lippenstift auf ihrem Mund abgeküsst – Liebe also wird dem Fremdenhass entgegengesetzt, möglichst solange, bis die demagogischen Worte der „ZEITUNG“, wie Heinrich Böll das Blatt in seinem Roman „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (1974) nennt, nicht mehr zu lesen sind.

Von Mario Pfeifer ist dessen Videoinstallation „Über Angst und Bildung, Enttäuschung und Gerechtigkeit, Protest und Spaltung in Sachsen / Deutschland“, 2016, zu sehen. Auf fünf Monitoren werden da Köpfe von 9 Menschen gezeigt, die, wie über Kopfhörern zu hören ist, über ihre Erfahrungen mit Pegida, Afd und der Lebensrealität in Ostdeutschland monologisieren. Dabei werden unterschiedlichste Sichtweisen vorgestellt, ein einheitliches Bild stellt sich nicht ein. Dem Rezipient bleibt also nichts anderes übrig als selber abzuwägen, selbst die teilweise gegensätzlichen Behauptungen zu interpretieren.

Wohl am beeindruckendsten die Installation „Untitled“, 2013, von Henrike Naumann. Sie hat hier gleichsam eine 4-Zimmer-Wohnung eingerichtet. Die Struktur der Wände ergeben, von oben gesehen, ein Hakenkreuz. Jeder der vier zu einer Seite hin offenen Räume, ist eingerichtet mit Möbeln, deren Stil die junge Künstlerin selbst als „Buche-Chrom“ bezeichnet und die in ihrer Ästhetik angelehnt sind an das „deutsche Durchschnittswohnzimmer“, wie es die Werbeagentur Jung von Matt jedes Jahr exploriert. Die Agentur hält sich dabei streng an Daten des Statistischen Bundesamtes und der Konsumforschung. Dieses dreidimensionale Porträt deutscher Spießigkeit wird dann von der Künstlerin ergänzt mit Nippes und Einrichtungen, die eine so drastische wie eindeutige Sprache sprechen: Wehrmachtssoldaten als Zinnfiguren z. B., eine „Ahnennachweis“ der NSDAP und „Sinnsprüchen“ wie: „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte!“ sind da installiert. Über Kopfhörer ist Musik aus der ultrarechten Szene zu hören, dann ein Monitor, der auf Facebook gefundene, sich selbst verherrlichende Videos aus der rechten Szene Sachsens zeigt. Bar jeder Distanz, wenn man so will: scheinbar einverstanden mit der rechten Szene stellt Henrike Naumann in dieser beklemmenden Arbeit die Ideologie der Neonazis unserer Tage bloß. Ohne erhobenen Zeigefinger, aber mit dem aggressiven Charme der sich fast schon identifizierenden, tabufreien Offenheit gelingt es ihr, der rechten Szene eben jenen Spiegel vorzuhalten, der ihre menschenverachtende und dümmliche Fratze zeigt.

Mehr Texte von Raimar Stange

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Was euch am Leben hält, ist, was bei uns zu Asche zerfällt
08.09 - 10.11.2018

KOW
10969 Berlin, Lindenstraße 35
Tel: +49 30 311 66 770
Email: gallery@kow-berlin.com
http://kow-berlin.com
Öffnungszeiten: Mi - So 12-18h


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