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Under Pressure. Über Formen des Autoritären und die Macht der Entscheidung: Druckventil

Wie können in Zukunft kollektive Fehlentscheidungen wie die Befürwortung des Brexit oder die Wahl Donald Trumps verhindert werden? Am Besten durch eine künstlerische Analyse, wie diese Entscheidungen zustande kamen. Die Ausstellung „Under Pressure“ bietet dazu eine ganze Reihe von Lösungsansätzen.

Vladan Joler, Mitbegründer der SHARE Foundation in Novi Sad, hat untersucht, wie Facebook die Daten seiner Nutzer in Profite für das soziale Netzwerk verwandelt. Jeder Like, jeder Klick wird analysiert, gespeichert und zu Werbepaketen für Unternehmen zusammengestellt. Diese Algorithmen sind auch dafür zuständig, uns möglichst lange am Bildschirm zu halten und präsentieren uns daher vorzugsweise Inhalte, die wir bereits kennen und positiv bewertet haben. So entsteht ein Echoraum und so entstehen kollektive (Fehl-)Entscheidungen.
Sebastian Schmieg hat mit „Decisive Camera“ eine Bilderkennungssoftware entwickelt, die dabei helfen soll, Entscheidungen zu treffen. Problem, Lösung, Vergangenheit und Zukunft erkennt das Programm in Bildern und kann diese prozentuell bewerten. Die Basis für diese Prozesse haben allerdings noch reale Ausstellungsbesucher eines Vorläuferprojektes geschaffen, die aufgerufen waren, Fotokunst nach den vier vorgegebenen Kriterien zu bewerten. Nun sind es die Besucher selbst, die von einer Webcam erfasst, selektiert und so alleine aufgrund ihrer Gesichtszüge der Vergangenheit oder der Zukunft zugeordnet werden. Eine bedrückende Vision, die in Österreich schon bald Realität werden soll. Das Arbeitsmarktservice will in Zukunft Arbeitslose mittels Software bewerten. Aussichtsreiche KandidatInnen erhalten dann noch Schulungen, zu hohes Alter oder Kinderbetreuungspflichten bringen Punkteabzüge und damit weniger Chance auf Weiterbildung und neue Arbeitsstellen.

Um von einer Software nicht zum Problem gemacht zu werden, wäre zum Beispiel Selbstoptimierung angesagt. Stefanie Schroeder hat ihre Erfahrungen als Hartz-IV-Empfängerin in einem Unternehmerworkshop in einem 2-Kanal-Video dokumentiert. Optimierung, Leistungssteigerung, Ich-Analyse und Persönlichkeitsmanagement – eine ganze Palette positiv besetzten Unternehmens-Vokabular, soll die Joblosen zu Ich-AGs und Mikro-UnternehmerInnen formen. Bei Stefanie Schroeder hat das übrigens funktioniert, denn sie hat das Konzept für ihr Video im Unternehmerworkshop entworfen und danach für die Realisierung zwei Stipendien erhalten.

Hat man dann endlich einen neuen Job, wird dieser wiederum von Computerprogrammen strukturiert, der individuelle Gestaltungsspielraum bestimmt und eingeschränkt. Wie sich das auf die Lebens- und Arbeitsqualität von Angestellten auswirkt, beschreibt Rod Dickinson in der Installation „Zero Sum“. In einer Round-Table-Situation hören BesucherInnen Interviews mit Menschen, deren Arbeitsabläufe vorwiegend durch Softwareprogramme gesteuert werden. Aus den Erfahrungsberichten könnte sich eine Diskussion über die Auswirkungen dieser maschinellen Steuerung bzw. die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ergeben, wäre der Moderator nicht selbst wieder ein Computerprogramm, das auf Basis eines klassischen Spieltheorie-Dilemmas (The Volunteer’s Dilemma) die Reaktionen des Publikums dirigiert und beeinflusst.
Aber vielleicht liegt ja gerade in der Übernahme durch künstliche Intelligenzen die Lösung vieler aktueller gesellschaftlicher Probleme. Das zumindest suggeriert Pinar Yoldas’ Computeranimation „Kitty AI: Artificial Intelligence für Governance“. Ein freundlich-buntes Katzengesicht erzählt da die Geschichte des friendly takeover aller Regierungsaufgaben durch eine künstliche Intelligenz: Die Eliminierung menschlicher Irrationalitäten im politischen Entscheidungsprozess hat sich im Jahr 2039 als einzig zielführende Strategie zum Erhalt des sozialen Systems in einer imaginierten Megalopolis erwiesen. Die allumfassende emotionale Fürsorge der künstlichen Intelligenz garantiert den BewohnerInnen ein sorgenfreies Leben; der Begriff der individuellen Freiheit tritt zurück gegenüber der automatisierten, maschinengesteuerten Effizienz politischer Entscheidungsprozesse.

Die Ausstellung „Under Pressure“ bringt einerseits bedrückende Beispiele einer möglichen und nahen Zukunft der totalen Überwachung und Lenkung durch intelligente Software und Maschinen, macht aber auch bewusst, dass es uns derzeit noch möglich ist, diese Entwicklung durch widerständiges und nonkonformistisches Denken und Handeln zu beeinflussen.

Mehr Texte von Werner Rodlauer

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Under Pressure. Über Formen des Autoritären und die Macht der Entscheidung
28.09 - 25.11.2018

MQ Freiraum
1070 Wien, Museumsplatz 1
https://www.mqw.at/mqfreiraum
Öffnungszeiten: Di-So 10-18 h


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