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Postkolonialismus pur

Die 10. Berlin Biennale mit ihrem engagierten Thema „Postkolonialismus“ überzeugt dank der konzentrierten Präsentation unterschiedlicher Zugänge zu seinem Thema. Und durch die herausragende Qualität einiger Arbeiten.

Ein Auftakt nach Maß: Gleich vor der Berliner Akademie der Künste hat die haitianische Künstlerin Firelei Báez ihre Version des „Sans Souci“-Schlosses errichtet. Es handelt sich um ein künstlerisches Remake der Ruinen des 1810 - 13 von König Henri Christophe in Haiti gebauten Palais Sans-Souci, das zumindest namentlich angelehnt war an Friedrich II. Sommerresidenz in Potsdam. Anders als letzteres sollte das haitianische Schloss vor allem militärische Potenz beweisen, seit dem verheerenden Erdbeben 1842 aber hatte es nur noch als Ruine bestand. Das Pappmache-Werk spielt zudem an den haitianischen Revolutionär Jean-Baptiste Sans-Souci an, der 1803 von Henri Christiophe ermordet wurde.

Schon Firelei Báez' Arbeit lässt keinen Zweifel darüber, dass es in der 10. Berlin Biennale vor allem um ein Thema geht: um Postkolonialismus und Rassismus. Dass die von Gabi Ngcobo mit Nomaduma Rosa Masilela, Serubiri Moses, Thiago de Paula Souza und Yvette Mutumba kuratierte Ausstellung dabei fast durchgängig darauf verzichtet, laute und aggressive Töne anzuschlagen, tut der 10. Berlin Biennale durchaus gut, treten doch nachdenkliche Verstörung und präzise Analyse an ihre Stelle.

Ein gutes Beispiel für letzteres ist auch Mario Pfeifers Videoinstallation „Again/Noch einmal“, 2018. Mario Pfeiffer – übrigens einer der ganz wenigen aus dem Galerienbetrieb bei uns bekannten Künstler, der an den 10. Berlin Biennale teilnimmt – lässt hier mit Hilfe von Schauspielern einen Vorfall von Gewalt gegen Flüchtlinge, der sich 2016 im ostdeutschen Arnsdorf ereignete, nachspielen. Vier deutsche Männer schleppten damals einen Flüchtling, der in einem Supermarkt eine dort gekaufte Telefonkarte reklamierte, aus dem Laden und fesselten ihn an einen Baum. Ein Jahr später wurde diese selbsternannte „Bürgerwehr“ skandalöser Weise vor Gericht freigesprochen. In sorgfältig inszenierten Rollenspielen, wird dieser Fall nachgestellt, wobei ausländerfeindliche Stereotypen genauso entlarvt werden, wie die alles andere als „neutrale“ und „gerechte“ Justiz. Als Leitmotiv agiert in der Videoinstallation zudem immer wieder das diffizile Verhältnis von Selbstjustiz und Zivilcourage.

Eine der beeindruckendsten Arbeiten der Ausstellung ist im Basement der Berliner KunstWerke zu sehen: die Installation „Untitled (Of Occult Instability) (Feelings)“, 2016 -18, von Dineo Seshee Bopape. Die apokalyptisch anmutende Rauminstallation ist in ein diffuses rot-rosafarbenes Licht getaucht, Backsteine und Holzbretter liegen herum, aus Lautsprechern erklingen metallene Schläge. Auf mehreren Monitoren sind bewegte Bilder zu sehen, z. B. von Nina Simone, die 1976 auf einem Jazzfestival ihren Song „Feelings“ vorträgt. Auf einem anderen geht es um die „Feelings“ einer vergewaltigten schwarzen Frau, die „ihre“ leidvolle Geschichte erzählt, auf einem weiteren Monitor um einen „Menschenzoo“ im Pariser Park Bois de Vincennes, in dem im 18. Jahrhundert schwarze Sklaven ausgestellt waren. Die verstörende Mischung unterschiedlicher Medien wie Licht, Skulptur, Sound, Musik, Video, Text und die nur lose zusammenhängenden Erzählungen sind typisch für viele Arbeiten auf der 10. Berlin Biennale: Der Moment der Hybridität verweigert gezielt formale Stimmigkeit und sprachliche Einheitlichkeit. Diese disparate Verschiedenheit vermag gerade deswegen Geschichte auf eine andere Weise zu erzählen. Außerdem ist diese Hybridität eine klare Absage an rechtspopulistische Vorstellungen von klar definierten, letztlich rassistischen Identitäten.

Im Berliner Zentrum für Kunst/Urbanistik (ZK/U) schließlich fällt besonders eine Arbeit ins Auge, und zwar Tony Cokes Videoinstallation „Black Celebration“, 1988. Auf monochromem Hintergrund sind dort auf den Monitoren Texte zu „schwarzen“ Aufständen in den USA lesen, begleitet werden diese Texte von über Kopfhörer zu hörende Rockmusik, etwa von Morrissey. Das sich so ereignenden „Bilderverbot“ stellt nicht zuletzt nachdrücklich Fragen nach der politischen Wirkung von vorgefertigten, massenhaft verbreiteten Bildern, die in der Lage sind, kritische und alternative Vorstellungen von Wirklichkeit zu unterdrücken.

10. Berlin Biennale
9. Juni bis 9. September 2018
Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin
KW Institute for Contemporary Art, Auguststraße 69, 10117 Berlin
Volksbühne Pavillon, Rosa-Luxemburg-Platz, 10178 Berlin
ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik, Siemensstraße 27, 10551 Berlin
HAU Hebbel am Ufer, Hallesches Ufer 32, 10963 Berlin
--> www.berlinbiennale.de

Mehr Texte von Raimar Stange

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