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Hans Peter Feldmann: Mit blauem Auge...

„Ich küsste ihre schönen Zähne“. Dieser Satz entstammt André Bretons surrealistischem Antiroman Nadja, in dem der Protagonist eine Begegnung mit einer Frau schildert, die für ihn die Totalität der surrealistischen Ideale verkörpert. Sie stürzt die Gesetzmäßigkeiten seines von Banalitäten durchtränkten Alltags um, entführt ihn auf ihre halluzinatorischen Streifzüge durch das nächtliche Paris, und durchdringt ihn auf eine Art und Weise, die er selbst beinahe kaum zu ertragen vermag. Nadja verbleibt im Roman als die ultimative Projektion des Protagonisten, wir erfahren beinahe nichts über sie, sie wird zur Collage der Dinge, die sie umgeben. Ein fallengelassener Handschuh, ein Strumpf, der Abdruck ihres Lippenstifts auf einer Serviette. Für den Autor wird sie zum Destillat seiner Sehnsüchte, nicht nur aus der Perspektive des männlichen Begehrens auf ihren in mundgerechte Portionen gestückelten Körper sondern auch in der des Künstlers auf sein ultimatives Werk.

In seiner aktuellen Einzelausstellung bei Mehdi Chouakri hat Hans-Peter Feldmann den weiblichen Körper zu seinem Werk gemacht. Er verfügt über ihn, zerlegt ihn in seine Einzelteile, sammelt und archiviert seine Abbildungen in einer Weise, die man in ihrem Drang zur Vollständigkeit als künstlerisch-maskuline Manie begreifen könnte.

Zum Gallery Weekend sind beide Räume der Galerie in Charlottenburg mit den Arbeiten des Düsseldorfer Künstlers bespielt. In dem Raum in der Mommsenstraße reihen sich Briefmarken, auf denen nackte Frauenkörper in verschiedensten kunsthistorischen Kontexten abgebildet sind, von antiken Skulpturen über frühchristliche Ikonographie bis hin zu Fauvistischen Darstellungen. In ihren kleinen Passepartouts werden sie zu einem extensiven Privatarchiv gestempelter Trophäen. Die Körperlichkeit der einzelnen Figuren spielt keine Rolle, in ihrer Vielheit werden sie als weiblicher Kollektivkörper eingehegt und für die Sammelwut des Künstlers verfügbar gemacht. Auf der anderen Seite des Raums reihen sich bunte Highheels, ein Modell hübscher als das andere, dennoch alle in der selben Schuhgröße, scheint doch die Individualität der Frau, die diesen Schuh getragen haben könnte, für die Darstellung hinfällig. Es reicht der Verweis auf die Spur, die Evidenz des Dagewesenen, die die Frau, die den Schuh trug, zum Besitz desjenigen macht, der ihn sich angeeignet hat und den Gegenstand zum Fetischobjekt.

In dem Galerieraum auf dem Fasanenplatz hat der Künstler nackte Sexpuppen verteilt. Sie liegen auf Podesten, streicheln mit gut manikürten Fingern kleine Hunde, durchblättern Möbelkataloge, tippen auf Schreibmaschinen und warten darauf, dass mutige Ausstellungsbesucher ihnen zwischen die Beine fotografieren. Sie tun, was „normale Frauen“ aus der Perspektive des Künstlers in ihrem Alltag eben so tun. Im Gegensatz zu André Breton, der mit seinem Verständnis geschlechtsspezifischer Rollenbilder, das selbst die Radikalität seines surrealistischen Aktivismus nicht aufzubrechen vermochte, im Zeitgeist des 19. Jahrhunderts verwurzelt war, lebt Hans-Peter Feldmann in der Gegenwart. Dass sein Frauenbild allerdings ganz offensichtlich irgendwo auf dem Weg in die zweite Hälfte des 20. Jahrhundert stecken geblieben ist, muss nicht erst an dieser Stelle erwähnt werden.

Wollte man sich in Großzügigkeit üben, könnte man dem Künstler eine Strategie der Sichtbarmachung unterstellen. Dass Frauenfiguren in der Literatur, im Film und in der Kunst regelmäßig in ihre Einzelteile zerlegt, ver-körpert, objektiviert und fetischisiert werden, ist keine große Neuigkeit. Die diskursiven und visuellen Strategien der Unterwerfung und Domestizierung der Frau in dieser Art und Weise, aus einer großmagischen, männlichen Künstlergeste heraus, im Jahre 2018 noch einmal aufzeigen zu müssen, ist allerdings mehr als überflüssig. Gekrönt wird dieser ganzheitliche Versuch maskulin-subjektiven Ausagierens am weiblichen Körper durch das blaue Auge, das der Künstler liebevoll auf ein historisches Portrait einer jungen Aristokratin gemalt hat. Dass die dekonstruktive Arbeit an der Geschichte, das Neuschreiben herkömmlicher Narrative am besten von denjenigen vollzogen wird, die die Gewalt dieser Narrative am eigenen Leib zu spüren bekommen haben, in diesem Falle die Frauen, hat der Künstler offensichtlich nicht begriffen und schafft es somit sogar (und das könnte man tatsächlich als bemerkenswerte künstlerische Leistung hervorheben) einer Toten noch einmal einen Schlag ins Gesicht zu versetzen, was in seiner scheinbar intendierten Lächerlichkeit, sogar noch um ein weiteres gewalttätig wirkt. Das altbewährte Spiel mit der Banalität des Ikonoklasmus funktioniert in anderen Arbeiten des umfassenden Oeuvres des Künstlers sehr gut, was allerdings nichts an der Tatsache ändert, dass es hier vollends scheitert.

Im besten Sinne kann Hans-Peter Feldmanns „Frauen-Kabinett“ (Wortlaut des Pressetexts der Galerie) als eine Archäologie des männlichen Blicks begriffen werden, die sich allerdings angesichts der völligen Gegenwartsvergessenheit ihrer künstlerischen Strategien selbst nicht einzuholen vermag.

Mehr Texte von Anna Gien

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Hans Peter Feldmann
28.04 - 02.06.2018

Galerie Mehdi Chouakri
10719 Berlin, Fasanenplatz, Fasanenstraße 61
Tel: +49 30 28391153
Email: galerie@mehdi-chouakri.de
http://www.mehdi-chouakri.de
Öffnungszeiten: Di - Sa 11 - 18h

Galerie Mehdi Chouakri, Momsenstraße
10623 Berlin, Momsenstraße Ecke Bleibtreustraße 41
Email: galerie@mehdi-chouakri.de
http://www.mehdi-chouakri.de
Öffnungszeiten: Di - Sa 11 - 18h


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