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William Kentridge - O Sentimental Machine: Die Kehrseite des Bildungsbürgertums

Das Liebieghaus in Frankfurt ist bekannt für seine auserlesene Sammlung zur Geschichte der Skulptur – 5000 Jahre vom alten Ägypten bis zum Klassizismus. Es ist ein ganz besonderer Ort: gelegen am Ufer des Mains, dort, wo sich viele andere Museen befinden, mit Blick auf die Innenstadt gegenüber. Das Museum ist benannt nach dem Textilfabrikanten Heinrich Baron von Liebieg. Dieser hatte die Villa mit seinem Tod 1904 der Stadt Frankfurt vermacht mit der Auflage, ein Museum dort zu eröffnen. Das im Stil der Gründerzeit 1896 an bester Lage errichtete Gebäude zeugt vom Representationsbedürfnis des Großbürgertums  - ein Konglomerat an verschiedenen, rückwärtsblickenden historisierenden Stilen, viel Stuck, Holzdecken, Vertäfelungen und maßgearbeitete Inneneinrichtung. Dass gerade in einem solchen Haus eine umfangreiche Werkschau des internationalen Künstlerstars William Kentridge zu sehen ist, überrascht.

Die Themen des 1955 in Johannesburg geborenen Künstlers sind die Folgen des Kolonialismus und der Apartheid sowie Kritik an der Industrialisierung. Sie stehen in großem Kontrast zu dem, was das Liebighaus ausmacht: westeuropäisches bildungsbürgerliches Wissen und großbürgerliche Geste. Die Arbeiten von William Kentridge sind in nahezu alle Sammlungsräume eingefügt und in einen aufschlussreichen, vielstimmigen und komplexen Dialog mit den Sammlungsexponaten gebracht; hervorragend inszeniert von Sabine Theunissen, einer Mitarbeiterin des Künstlers, und spannend ausgewählt von den Kuratoren des Liebieghauses Vinzenz Brinkmann und Kristin Schrader.

Obwohl viele der Videos, Installationen, Zeichnungen und Objekte des Künstlers von Grossevents wie der documenta 13 im Jahr 2012 oder der Istanbuler Biennale 2015 bekannt sind, eröffnen sich hier weitreichendere Facetten seines Schaffens. Deutlich wird eine humanistische Haltung, eine Kulturen und Epochen umfassende Perspektive. William Kentridge hat sich immer wieder mit dem Altertum beschäftigt und schon zuvor auf Einladung von Museen wie dem Louvre Werke in Bezug zur Sammlung geschaffen, so «Notizbücher aus Ägypten». Diese filmische Arbeit ist ebenso zu sehen wie andere Werke, bei denen kein direkter Bezug zur Skulpturgeschichte zu erkennen ist. Dafür bildet die Person des Industriellen spannende Anknüpfungspunkte. Ein solcher im Nadelstreifenanzug ist eine wiederkehrende Figur in Kentridges filmischem OEuvre wie z.B. «Other Faces». Er repräsentiert Macht, Rücksichtslosigkeit und schuldbeladenes Gedächtnis der südafrikanischen Gesellschaft und wirft im Kontext der Liebieg-Villa die Frage auf, wie es um die deutsche Gesellschaft steht. Zu sehen ist auch die Videoinstallation «Black Box / Chambre Noire», welche mit dem Genozid an den Hereros im heutigen Namibia traurige deutsche Kolonialgeschichte in Erinnerung ruft.

Eine weitere Bezugsebene bilden grundmenschliche Themen. Gesten von Leid und Unterdrückung in Werken von Kentridge treffen auf jene der europäischen Skulpturgeschichte, auf mittelalterliche Beweinungsszenen oder Christus am Kreuz. Was auffällt ist die Reduzierung auf Chiffren und übersteigerten Ausdruck. Manchmal zerfliessen die Grenzen einer eindimensionalen Gegenüberstellung und damit auch Trennung von Gut und Böse, Macht und Ohnmacht, Südafrika und Europa. Dies beispielsweise, wenn ein manieristischer Bildhauer eine «Schwarze Venus» als Schönheitsideal präsentiert oder Kentridges Hang zu Humor, Schabernack und Selbstironie zum Tragen kommt. Er schlüpft in die Rolle des Industriellen oder thematisiert in einer Reihe von Videos seinen Schaffensprozess im Atelier, wobei er Tricks und Effekte der Filmgeschichte zitiert und sich wie ein Zauberer präsentiert.

Die Begeisterung des Künstlers an der aussergewöhnlichen Reibungsfläche, welche das Liebieghaus bietet, wird auch im Katalog deutlich, der eine Äquivalenz darstellt zu den Interventionen in der Sammlung. Auch hier geht es um die Auseinandersetzung mit bürgerlichen, europäischen Repräsentationsformen. Aus dem Archiv des Museums werden unterschiedliche Fotografien der Sammlungsbestände verwendet und damit Einordnung und Blickweisen verdeutlicht. Zu neun alten Aufnahmen hat Kentridge Zeichnungen geschaffen, die als überlagerte Transparentfolien Übermalungen der abgebildeten Skulpturen darstellen. Diese bildpolitische Geste macht das feine Bezugsgewebe des ganzen Projektes deutlich: höchste geistige und kulturelle Werte, nobler Lebensstil des Abendlandes werden seiner brutalen, menschenverachtenden Kehrseite gegenübergestellt. Ein Leitthema von Kentridge füllt die Schattenseiten europäischer Sammlungspolitik und Geschichtsbewusstseins aus.

Mehr Texte von Andrea Domesle

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William Kentridge - O Sentimental Machine
22.03 - 26.08.2018

Liebieghaus Skulpturensammlung
60596 Frankfurt am Main, Schaumainkai 71
Tel: +49 69-605098-200
Email: info@liebieghaus.de
http://www.liebieghaus.de
Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr-So 10-18, Do 10-21 h


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