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Viral und soft

Wer die zweite Moskau Biennale, 2007, erlebt hat, weiß noch, mit welcher Kraft sich der geradezu festivalartig angelegte Bogen von Ausstellungen damals in die russische Metropole eingeschrieben hat: Im Rohbau der neuen Business Center Hochhäuser, unter dem Dach des Kaufhauses TSUM sowie in vielen Museen und Galerien verpassten die vielen Biennale Teilprojekte und Interventionen der Stadt eine kulturelle Frischzellenkur sondergleichen. Ohne die Kunst selbst zu diminuieren, seien mit Daniel Birnbaum, Iara Boubnova oder Hans Ulrich Obrist nur einige der damaligen KuratorInnen genannt. Dies, um daran zu erinnern, welche Signifikanz und Internationalität die Biennale als kulturelle Maschine damals anstrebte. Die ins Rollen gebrachte Internationalisierung mit Schwerpunkten wie zum Thema Öl, als wirtschaftlicher und militärischer Faktor, wo Arbeiten von Sergei Bugaev Afrika oder Valie Export hervorstachen, wirbelte die lokale Szenen auf.

Natürlich bringt es wenig, sentimental zurückzuschauen. Die Kunst und ihre Bedingungen ändern sich. Moskau hat nun das Garage Museum im Gorki Park, die Fabrica Kunsthalle und den Galerien-Cluster Vinzawod. 2018 möchte die finanziell starke V-A-C Foundation ein eigenes Ausstellungshaus eröffnen. Trotzdem braucht gegenwärtig dynamisierte Metropole gerade jetzt ein starkes offizielles Bekenntnis zur zeitgenössischen Kultur. Die neuen Chokoladerias und Coffe-Shops an jeder Ecke machen noch keine liberale Gesellschaft aus. Als Umschlagplatz für das Zeitgenössische müsste das Projekt Moskau Biennale ein Faktor für die Implementierung von Diskurs sein und eine schlagkräftige Rolle in der Auseinandersetzung spielen.

Politik der Einschüchterung

Stattdessen versucht man nun – eher umgekehrt – das einstige Flaggschiff zeitgenössischer Kultur alle zwei Jahre mit Ach und Krach wieder auf Fahrt zu bringen. Der aus dem ehemaligen Moskauer Underground kommende Kulturstratege und Künstler Joseph Backstein ist von seiner einflussreichen Position als Präsident von der relativ unbekannten Julia Muzykantskaya abgelöst und in die inhaltlich bedeutungslose Position eines Ehrenmitglieds im Expertenkomitee hinaufgelobt worden. Wie die vom russischen Kulturministerium mäßig unterstützte Biennale finanziell dasteht, zeigt deren knappes operatives Budget, das sich bei knapp 1 Mio US-Dollar einpendelt, obwohl die Anzahl der Firmenlogos, die Zahl der 48 künstlerischen Positionen in Hauptausstellung bald überschreitet.

Vergegenwärtigt man sich dann noch die Aussagen von Kulturminister Vladimir Medinski, der Kultur als Teil eines nationalen Projekts ansieht und nicht einmal die Inhaftierung des Theaterregisseurs Kirill Serebrennikow vergangenen Sommer als Taktik der Einschüchterung gelten lassen will, dann könnte sich nur allzu leicht ein Tonfall einschleifen, in dem gewöhnlich über die üblen Verhältnisse im postsozialistischen Russland gewettert wird. Jedoch entspricht es dem Zustand der aktuellen 7th Moscow Biennale of Contemporary Art, dass deren Hauptausstellung erst im allerletzten Moment auf die Beine gestellt wurde und nun – etwas versteckt – im hintersten Eck der Neuen Tretjakow Galerie über die Bühne geht.

Um die Biennale in dem schon etwas abgebrauchten 80er Jahre Bau am Ufer der Moskwa möglich zu machen, räumte man die spannende, unter Kurator Andrei Erofeyev aufgebaute Sammlung zeitgenössischer Kunst, die Werke aus dem ehemaligen Untergrund enthält, in den Keller, während man den wenig besuchten Bereich mit stalinistischer Heldenmalerei so beließ; ein merkwürdiger Kontrast.

Sanftes Dahinplätschern

Die prominente Manege neben dem Kreml rechtzeitig freizubekommen ist wieder einmal nicht gelungen. Dort wäre die Biennale als Statement aufgetreten. Nun verliert man sich nach dem Passieren der monumentalen Ankündigungstafel orientierungslos in der Eingangshalle der Tretjakow. Dabei hätte der Natur bezogene Titel "CloudsForests" genug dafür hergegeben, in dem – vier Stockwerke hohen – Empfangsbereich ein entsprechendes Auftaktelement zu setzen.

Hat man noch dazu das Pech, als angereister Journalist routinemäßig eine Pressekarte zu erwarten, worauf die Kartenverkäuferin ein lakonisches "Njet" ausstößt, ist die Stimmung so richtig perfekt. Dass eine jüngere Veranstaltungsmanagerin, das Problem souverän löst, indem sie freundlich strahlend eine Behindertenkarte hergibt, um den kostenfreien Eintritt letztlich doch reibungslos zu ermöglichen, könnte man als Anekdote ablegen. Doch es wirkt wie eine symbolische Geste, in der sich der Zustand der gesamten Biennale spiegelt.

Zwar läuft sie einigermaßen, aber irgendetwas stimmt dann eben doch nicht. Besser gesagt: Die Biennale plätschert dahin. Man wird den Eindruck nicht los, dass Kuratorin Yuko Hasegawa über weite Strecken bloß Stimmungslandschaften gezeichnet hat, um ihre Annäherungen an das Thema Natur herzustellen. Es fehlen Kontraste und Brüche, um Blickwechsel aus der Distanz herzustellen.

Hat man die Geduld zu warten, kann man gleich vor Eintritt per Headset in eine Virtual Reality Installation von dem aus Trans-Baikal stammenden Dashi Namdakov eintauchen. Eine Holzskulptur ist mit tatsächlichen Partikeln der Landschaft des Baikal umgeben. "Was ist Wirklichkeit?" fragt der Künstler auffällig plakativ, womit das übergreifende Thema angerissen werden soll. Kuratorin Yuko Hasegawa möchte mit "Clouds ⇄ Forests" der einst so bezeichneten Natur den Raum des Internets gegenüberstellen, um so eine neue ökologische Perspektive zu entwickeln.

In Räumen, die oft zu klein unterteilt wirken, begegnet man dann viel zu dicht gehäuft einem fotografischen Impressionismus, der in erster Linie als Hintergrund für die Erinnerungsfotos der zahlreichen Smartphone-User genutzt wird. Für die Promotion-Abteilung sicher ein Erfolg. Nach einem Massenansturm zur Eröffnung zieht das massive Facebook Marketing der Biennale sogar am Abend scharenweise BesucherInnen unter dreißig an, die einander durch die Ausstellung spazierend vor allen möglichen Werken fotografieren.

Gleich am Anfang Werke des deutschen Fotokünstlers und Performers Michael Najjar, der zahlreiche Bilder kosmischen Motiven widmete und nun selbst Astronaut werden möchte. Wen wundert es, dass er neben anderen wichtigen Kosmodromen auch Star City in Russland besuchte. Themen des Ökologischen, aus der Biologie treffen auf Technik oder visuelle Übersetzungen per Technik. Der russische Künstler Ilya Fedotow-Fedorow etwa bringt in seinen konzeptuellen Fotografien und Installationen existentielle Einsamkeit zum Ausdruck. Für seine bildnerischen Arbeiten zieht er Sujets aus der Mikrobiologie heran.

Umgekehrt darf auch der Weg durch das Paralleluniversum Internet als virtuelle Kartographie nicht fehlen, wie bei Louise Druel. Nicht ganz erschließt sich die Präsenz von Michael Jackson in einem Video von Adel Abidin. Obwohl in langen Einstellungen ganz nah ins Bild gerückt, geht es dann doch nicht um dessen sukzessive körperliche Transformation. Vielmehr wandelt sich die Produktion dann in eine phantastische Geschichte mit Jackson als Führer einer archaischen Gesellschaft.

Björk als Headliner

So verliert man früher oder später den Faden oder überhaupt das Kernthema der Schau aus den Augen. Spätestens wenn sich herausstellt, dass die als Sensation angekündigte Präsentation der isländischen Pop-Queen Björk aus technischen Gründen abgeschlossen bleiben muss, und man gezwungenermaßen an einer Zäsur angelangt ist, fragt man sich, welche Highlights – oder überhaupt: welche Inhalte – in Erinnerung bleiben.

Dennoch: dem lokalen Publikum ist zu wünschen, dass die High Tech Projektionen bald wieder in Gang gesetzt werden konnten. Sehen sollte man mehrere immersive Installationen. Per Headset sollte Björks ergreifende "Stonemilker"-Landschaft an der Meeresküste als Virtual Reality zu hören und fühlen sein; ein von Regisseur Andrew Huang gefilmtes Szenario, das es mittlerweile auch als low-tech You-Tube Version gibt. In einem der letzten Räume sollten angeblich die Bewegungen der Handsteuerung für eine 360o Projektion mit den Bewegungen projizierter Hände kommunizieren. Gerade jetzt, wo Björks neuester Tonträger "Utopia" wie eine neu aufspringende, exotische Knospe Medienpräsenz genießt, sollte dieser Ausstellungsteil mit erhöhter Behutsamkeit am Funktionieren gehalten werden. Immerhin wird Björk neben (Exmann) Matthew Barney und Ólafur Elíasson als eines der Zugpferde der Biennale gehandelt.

Doch vor allem als Promi-Faktor! Insgesamt wirkt die Biennale allzu sanft und zahnlos. Die Werke fließen phasenweise ineinander über wie die Motive einer Ambient Tapete. Und dies, obwohl das Konzept von Kuratorin Yuko Hasegawa anderes verspricht. Entlang der Haupttangente der Ökologie möchte es in eine hochbrisante Themenkonstellation vordringen, wenn es um die Darstellung dessen geht, was spätestens seit Kant in das ehemals Naturwüchsige und eine von Menschen gemachte, designte und ausgebeutete Landschaft aufgespalten ist. Weil sich "Natur" eben auch, algorithmisch formatiert, in den digitalen Raum erstreckt, sollen Virtualität und Materialität unter dem Paradigma der Verantwortung einander gegenüber stehen.

Kontrastprogramm in Wien

Welch spannende Sichtweisen sich daraus ergeben hätten können! In Wien liefert die von Rainer Fuchs im mumok kuratierte Ausstellung "Naturgeschichten. Spuren des Politischen " ein role-model für die Behandlung dieses Themas. In einer Zeit, in der sich in Russland in einigen Industriestädten ökologisch orientierte Initiativgruppen formieren, hätte die Hauptausstellung der Biennale die Sensibilität für die ökonomischen und gesellschaftspolitischen Hintergründe für Zerstörung und Ausbeutung von Natur stärken können. In Wien beweisen Andrea Geyer oder Lois Weinberger wie sich solche Fragestellungen in große Kunst übersetzen.

Kuratorin Yuko Hasegawa jedoch, die leitenden Kuratorin des Museum of Contemporary Art Tokyo, konzentrierte sich – wie in vielen ihrer anderen Projekte – auf stimmungsstarke Bilder, während sie die Dimension des Gesellschaftlichen lediglich in Andeutungen thematisiert. Falsch wäre es von hier aus direkte Verbindungslinien zur russischen Kulturpolitik in Moskau zu zeichnen. Doch ist es bemerkenswert, dass die Entscheidung des Biennale-Komitees – ohne Joseph Backstein – für die künstlerische Leitung der Biennale in dem von Russland offiziell ausgerufenem Jahr der Ökologie ausgerechnet auf Hasegawa fiel. Deren Ernennung stand überhaupt erst ein Jahr vor Eröffnung der Biennale fest. In dieser extrem kurzen Vorbereitungszeit ließ sie sich außerdem auf ein zur Zeit höchst beliebtes pseudodemokratisches Spiel ein.

Nach der Triennale des Garage Museums mit junger Kunst aus dem – angeblich – gesamten Raum der russischen Föderation, brüstet sich nun auch die Moskau Biennale mit der Möglichkeit, sich zu bewerben. Das führte dazu, dass tatsächlich mehr als 600 KandidatInnen an Biennale Leiterin Yuko Hasegawa herangetragen worden sind. In die engere Auswahl kamen schließlich KünstlerInnen, die in den Monaten vor Eröffnung der Biennale Ausstellungen in Moskauer Galerien hatten oder zuvor bereits in der Moscow International Biennale for Young Art vertreten waren. Warum auch nicht? Die sich darauf ergebende Gewichtung allerdings bewirkte, dass man Positionen aus Lateinamerika , aus Indien oder aus afrikanischen Staaten auf dieser Biennale lange suchen kann. Früher oder später dürfte das auch dem in der Facebook Parallelwelt herumspazierenden Publikum auffallen. Nur im ersten Moment bleibt unklar, ob es bloß um virtuelle Clouds geht, oder ob man in einer realen Wolke gelandet ist.

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7th MOSCOW INTERNATIONAL BIENNALE OF CONTEMPORARY ART
bis 18. Jan 2018
en.moscowbiennale.com/

New Tretyakov Gallery
The State Tretyakov Gallery, 10, Krymsky Val, Moscow

 

Mehr Texte von Roland Schöny

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