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Glasstress 2017: Übersetzungs- und Besetzungsfragen

Wann ist es Kitsch? Wann ist es Kunst? Wer vermag dies schon zu beurteilen? Glasstress stellt einen diesbezüglich einmal mehr vor eine besondere Herausforderung. Seit 2009 bereits gibt es die Reihe der Fondazione Berengo im Palazzo Franchetti parallel zur Biennale.

Das Prinzip einfach: Adriano Berengo, Gründer und Glasfabrikant, sowie unterschiedliche Kuratoren laden Künstler ein, Entwürfe für Glas zu liefern, die in Zusammenarbeit mit Glasbläsern aus Murano, allesamt Meister ihrs Faches, zur perfekten Ausführung gelangen. Das ist soweit nicht neu, schon Künstler wie Marc Chagall oder Pablo Picasso hatten ihre Freude an dem Material und der Umsetzung ihrer Entwürfe. Dieses Jahr zeigte sich unter anderen Ai Weiwei begeistert, in dem traditionsreichen Handwerk eine neue künstlerische Sprache zu finden. Ein raumfüllender, mattierter Leuchter ist es geworden und bei näherem Hinsehen erweist sich das Ornamentale als das Zeichenhafte: Da tummeln sich Twitter-Vögelchen und prangen Stinkefinger zwischen Handschellen und anderen wenig anheimelnden Symbolen.

Thomas Schütte variiert wenige klassische Grundformen in heiteren Farben zu einer Reihe von „Gartenzwergen“, Ugo Rondinone lässt eine Horde von blauen Pferdchen „An Ocean Away“ aufmarschieren, die Chapman-Brüder entwerfen das Laborszenario eines Horrorkabinetts. Kitschig ist das mitnichten. Konzeptionell spannend wird es bei Entwürfen, die gleichsam als dreidimensionales Trompe-l'œil das Auge täuschen. Der Fischstand mit Glasaalen von Charles Avery könnte ebenso am Fischmarkt bei der Rialtobrücke stehen und nicht im Palazzo nächst der Ponte dell‘Accademia und was ist naheliegender als Dike Blairs Imitation einer handelsüblichen Sprühflasche mit Glasreinigungsmittel, die in der Vitrine vergessen scheint. Bei Xenia Hausners Tempel/Markt funktioniert der Realismus gleich über zwei Transferleistungen. Ihre Konsumgüter in einer Feuerschale in Sand gebettet, sind von jenen papierenen Imitationen übernommen, die in China am Tag der Toten rituell verbrannt werden.

Auch die beiden Protagonisten des diesjährigen Österreichischen Pavillons haben sich in Glas versucht und während man die ursprünglich ausgestellte Arbeit von Brigitte Kowanz vergeblich sucht, da sie laut Auskunft der Aufsicht verkauft wurde, fügen sich Erwin Wurms auf Füßen stehende Wärmflasche „Mutter“ und die Dopplerflasche „Vater“ mit einem „venezianischen Würstchen“ zur heiteren Familienaufstellung.

Das funktioniert im Einzelnen für sich meist wunderbar, doch als Ausstellung fehlt der Präsentation schlicht eine Linie. Das verwundert, denn neben Beregno werden Dimitri Ozerkov, verantwortlich für das 20. und 21. Jahrhundert in der St. Petersburger Eremitage, und Herwig Kempinger, Präsident der Wiener Secession, als Kuratoren von Glasstress 2017 genannt. Irgendwie wird man den Verdacht nicht los, dass es hier von beiden Letzteren eine strengere Konzeption zu einer spannenden Ausstellung gegeben hat, die dann zu einem Showroom aufgefüllt wurde. Womöglich stellt sich gar nicht die Frage, ob oder ab wann es Kitsch ist, sondern was der Veranstalter eigentlich will.

Mehr Texte von Daniela Gregori

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Glasstress 2017
11.05 - 26.11.2017

Palazzo Franchetti
30124 Venedig, San Marco 2847 (Campo Santo Stefano)
Email: comunicazione@berengo.com
http://glasstress.org
Öffnungszeiten: 10-18:30


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