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Zwischen Geschichte und Aufbruch

Nun ist sie aus dem Boden gestemmt: die zweite Ausgabe der Biennale von Timişoara zusammen mit ihrer wachsenden Trabantenschau im benachbarten Arad. Jetzt schon ist evident, dass hier im Westen Rumäniens eine Kunstschau auf Schiene gebracht wurde, die das Potential hat, sich im zentraleuropäischen Raum zu einem der spannendsten Projekte dieser Art zu entwickeln.

Während dies andernorts auf Grund repressiver Bedingungen immer schwieriger wird, zeigt diese Ausgabe vor allem solche ästhetische Konzepte, die Anbindungen an aktuelle gesellschaftliche und politische Kontexte erstreben, ohne jedoch gleich ins Plakative zu kippen. Eine weitere verbindende Klammer der im Stadtraum von Timişoara und dem benachbarten Arad ausmäandernden Schau ist die Kategorie des Lebensalltags basierend auf einem genialen konzeptuellen Fundament.

In den Verschachtelungen des Alltags

Die Überschrift der von Ami Barak und seiner jungen, lokalen Kollegin Diana Marincu kuratierten zentralen Ausstellung "Life a User's Manual" bezieht sich auf Fragmente aus dem Alltagsleben in den in Anlehnung an George Perecs literarischem Meisterwerk „Das Leben Gebrauchsanweisung (La Vie mode d’emploi)“ (1978) – „Life a User’s Manual“. Durch die Hintertüre wurden somit auch mediale Aspekte hereingeholt, handelt es sich doch weniger um eine reale Gebrauchsanweisung, als vielmehr um einen Trick der kuratorischen Regie, um zu einer Einteilung nach Kapiteln zu gelangen.

Das wirkt vor allem an zwei Orten sehr plausibel: Im renovierten Corneliu Miklosi Tramway-Museum, das sonst an den Beginn der Ära der elektrifizierten Straßenbahn seit 1899 erinnert und im ebenfalls erneuerten ISHO House, das zu Beginn des 20. Jahrhundert teil einer Wollmanufaktur war. Solche Orte, verleihen der Biennale einen aufgeräumten, durchstrukturierten Charakter. Ausgereift und auf angedeutete Botschaften hin ausgerichtet ist etwa die Arbeit von Achmed Öğüt. Wie Salontüren wirken seine in einem Durchgangsbereich frei schwingenden Polizeischutzschilde „The Swinging Doors“ (2009/2017). Formal klar spielen sie auf die Spannungen im öffentlichen Raum im Zuge der zahlreichen Demonstrationen gegen Korruption an. Währenddessen bringt der aus Cluj-Napoca stammende Miklósi Dénes seriell in Szene gesetzte offizielle Fotografien einer Fotoagentur aus den Jahrzehnten zwischen den 1960er und 1990er Jahren, die den rumänischen Alltag, der damaligen kommunistischen Ideologie gemäß, strahlend dokumentieren.

Rundgang durch das pralle Leben

Insgesamt jedoch wirkt das Kapitel „Whoʼs afraid of politics?“, das ein Exposeé sein möchte und eine Reihe weiterer prominenter Namen wie David Maljković oder Anri Sali bringt, etwas zu sanft und zu verspielt. Dieser Zugang passt schon eher zum Kapitel der Dimension des Alltags zu Hause. Angesichts der zahlreich vorkommenden Vagina-Anspielungen und eines explizit pornographischen Videos könnten sich selbst abgebrühte AusstellungsbesucherInnen fragen, wo sie denn da gelandet sind. Aber stellenweise ist es eben auch ein Rundgang durch das pralle Leben.

Eine Konfrontation mit der Monotonie der Arbeitswelt stellt die minimalistische Arbeit von Anca Benera und Arnold Estefan dar, die zur Zeit auch in Wien in der Ausstellung „Naturgeschichten – Spuren des Politischen“ im mumok vertreten sind. Stets fokussieren sie Monotonie und Ökonomisierung unter dem Paradigma kapitalistischer Verhältnisse, bauen ihre künstlerische Welt aber auch in Serien und Systemen auf. In der graphischen Werk-Reihe „I work, therefore I'm not“ (seit 2012) entstehen die sich stellenweise verdichtenden, fein gezeichneten Muster auf Papier aus Bewegungen der Computermaus. Die minimalistisch strukturierte Wand der beiden KünstlerInnen ist ein Highlight in der kuratorisch sonst kaum durchgestalteten Timco-Halle, dem leerstehenden Gebäude einer Werkzeugfabrik. Warum der – vormals noch zentrale Biennale Bereich – diesmal so nachlässig behandelt wurde, bleibt unverständlich. In einer sonst kompakten und dichten Präsentation fühlt man sich hier plötzlich an einen kaum dazugehörigen Bereich der Ausstellungsperipherie versetzt.

Angewandte Kulturdiplomatie

Blickt man tiefer in das Gewebe des meistenteils fein gewebten Textes der Schau, wird deutlich, wie viele kulturdiplomatische Rädchen ineinander greifen müssen, um ein Vorhaben umzusetzen, das sensibel mit den lokalen Verhältnissen verwoben ist und dennoch kritisch visionär nach vorne weist. Sehr ausgeprägt in den Szenen Rumäniens scheinen nämlich Konkurrenzfreudigkeit und Eigensinn zu sein. Nicht nur im Bereich der Kunst.

So kam 2015 noch zu der für eine Biennale ungewöhnlichen Idee, lediglich die Kunst des eigenen Landes in den Fokus zu rücken, um etwaige Grabenkämpfe zu vermeiden. Ebenfalls atypisch ist die Rückbindung der »Art Encounters« an historische Positionen; zumindest mit einem Standbein. Was sich mittlerweile als Alleinstellungsmerkmal herauskristallisiert, macht durchaus Sinn; vor allem weil die in vielen Bereichen experimentell arbeitende Sigma-Gruppe in Timişoara in den 1970er und 80er Jahren sehr aktiv war und zu den wichtigsten Einfluss nehmenden Kräften aus dem lokalen Umfeld zählt.

Lokale Rückbezüge

Während die Kuratorin Alina Serban unter dem damaligen Art Encounters-Team Natalie Hoyos und Rainald Schuhmacher bereits 2015 eine sensationelle Aufarbeitung des zwischen Mathematik und Zeichnung, zwischen Fotografie, Performance und Architektur oszillierenden Werks der Gruppe leistete, wird dieses nun im Kunstmuseum von Timişoara in der Nähe performativer KünstlerInnen der heute postkommunistischen Staaten präsentiert. Nicht nur schade sondern unprofessionell ist es für ein derart spannendes Unternehmen, wenn (auch hier wieder) zur Presse-Präsentation und Eröffnung gar keine oder nur spärliche Beschriftungen an der Wand hängen.

Das nahm der gesamten Anstrengung und merkbar genauen, überlegten Arbeit ihren Wert. Nicht nur dem Management, auch den beiden Kuratoren ist hier Verantwortung zuzuschreiben, wäre es doch deren Aufgabe, von Anfang an für eine rechtzeitige und korrekte Werkbeschriftung zu sorgen.

Keinesfalls aber ließe sich generell von Schlampigkeit sprechen. Nicht zuletzt durch die Initiative des Kunstsammlers, -experten und Investors Ovidiu Șandor gelang es allen beteiligten Kräften, zur Eröffnung einen erstaunlich übersichtlichen Katalog, die komplette Website und ein dickes Heftchen mit diskursivem und vermittelndem Veranstaltungsprogramm vorzulegen. In einem Sonderbereich, in der renovierten Theresien-Bastion präsentieren sich außerdem auf Kritik und Theorie spezialisierte Kunsträume aus Iași, Cluj und Bukarest. Kein Wunder, dass ein derart ambitioniertes Unternehmen dazu beitragen konnte, der von Wien aus nur 500 Kilometer entfernten Stadt Timişoara (gemeinsam mit Arad) in der landesinternen Konkurrenz gegen Cluj, den Titel der europäischen Kulturhauptstadt 2021 zu erringen. 

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Art Encounters 2017
Life a User's Manual
bis 5. November 2017
Timișoara & Arad, Romania

--> www.artencounters.ro

Mehr Texte von Roland Schöny

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