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Erik van Lieshout - Sündenbock: Politik als Posse?

Für die fast schon retrospektive Ausstellung „Sündenbock“ von Erik van Lieshout sind die Ausstellungsräume des Kunstverein Hannover mit einer provisorisch-trashig anmutenden Lattenkonstruktion ausgekleidet, die sowohl als doppelter Boden, Wand und Decke, wie als Träger für diverse Collagen und Zeichnungen dient. Dieser langgezogene Raum im Raum wiederum beherbergt dann sieben Kojen, in denen sechs Videoarbeiten präsentiert werden, in der siebenten steht eine großformatige Collage im Fokus.

Gleich zu Beginn dieses spannungsreichen Parcours ist eine der bekanntesten Arbeiten Lieshouts zu sehen: „Rotterdam-Rostock“, 2006, ein Video, das erstmals auf der 4. Berlin Biennale 2006 gezeigt wurde. Auf einer Fahrradtour von Rotterdam nach Rostock befragt der niederländische Künstler vor laufender Kamera Mitmenschen, die ihm auf seiner Reise begegnen, zu ihrer politischen Einstellung. Unverblümt sprechen diese über Fremdenhass und bekunden ihren Antisemitismus. Zu hören ist auch, wie der Künstler sich via Telefon von seiner Freundin trennt. Landschaftsaufnahmen durchkreuzen das Geschehen, dann Bilder heruntergekommener Wohnsilos. In diesem, wenn man so will, Roadmovie gerät Politik und Alltag zu einer ebenso beklemmenden wie zuweilen absurd-witzigen Angelegenheit. Beides gerät beinahe zur Posse.

Im Raum 5 dann Lieshouts 2-Kanal-Filminstallation „Dog“, 2015, die ja auch eine der zentralen Arbeiten der im nach herein als immer wichtiger erscheinenden Ausstellung  „Politischer Populismus“, 2015, in der Kunsthalle Wien gewesen ist (<a href="http://www.artmagazine.cc/content89214.html">Siehe die artmagazine Kritik</a>). Die Arbeit thematisiert mit ihren unmiss- und schnellverständlichen Einstellungen die bis heute skandalöse Flüchtlingspolitik in Europa. Auf einer Leinwand sprechen da Aktivisten über das Schicksal des russischen Oppositionellen Aleksandr Dolmatov, dessen Asylantrag 2013 wegen einem Computerfehler in den Niederlanden abgelehnt wurde. Der Raketenforscher beging daraufhin Selbstmord. Auf der zweiten Leinwand sind verschiedene, meist junge Asylbewerber zu sehen, die von ihrem Leben in der Warteschleife berichten. Themen wie Willkommenskultur, Illegalität und Angst kommen in ihren Monologen zur Sprache.

Im letzten Raum der engagierten Ausstellung wartet dann besagte großformatige Collage „Untitled“, 2017, auf die Besucher, die symbolträchtig hinter einem metallenen Absperrgitter gehängt ist. Bei diesem auf dem ersten Blick an farbenfrohe Pop Art erinnernden „Poster“ handelt es sich um ein verfremdetes Medienbild, das Angelika Merkel neben US-Präsident „T-rump“ (Martha Rosler) vor den Nationalflaggen des von ihren regierten Landes am Rednerpult zeigt. Auf dem zweiten Blick aber sieht man wie Erik van Lieshout auf seinem Historienbild die Gesichter beider Politiker zu so possenhaften wie aussagekräftigen Fratzen deformiert hat. Merkels Devotheit dem mächtigen Kollegen gegenüber nämlich wird da ebenso offengelegt wie „T-rumps“ eigentlich unbeschreibliche Dummheit.
Ohne wenn und aber: Bitte ansehen!

Mehr Texte von Raimar Stange

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Erik van Lieshout - Sündenbock
16.09 - 19.11.2017

Kunstverein Hannover
30159 Hannover, Sophienstraße 2
Tel: +49 511 32 45 94, Fax: +49 511 363 22 47
Email: mail@kunstverein-hannover.de
http://www.kunstverein-hannover.de
Öffnungszeiten: Di-Sa 12-19, So, feiertags 11-19 h


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