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Exhumierung

Es sind nicht wenige Nachrufe, die schon zu Lebzeiten geschrieben werden. Besonders Journalist/innen üben sich in Vorgriffen. Fragwürdig sicher, aber verständlich. Schließlich gehört es zum Tagesgeschäft, für eine nächtliche Todesstund gewappnet zu sein. Die Texte werden im Ernstfall flugs aus der Schublade geholt. Sie sind wie schriftlicher Sofortbilder, also insta-grammatisch. Die Schubladen-Texte sind genau genommen Exhumierungen avant la lettre. Sie verdanken sich einer Nacherzählung im Modus der Vorzukunft. Es wird gewesen sein. Sie/er wird diese oder jene Bedeutung gehabt haben. Doch für Nachrufe gelten auch Gesetze, nicht nur ungeschriebene. Zu den letzteren zählen lateinische Weisheiten, wie “De mortuis nil nisi bonum”. Üble Nachrede schickt sich nicht. Das moralische Prinzip, dass es unmöglich ist, den Betroffenen mit der Wahrheit zu konfrontieren, ist der Hintergrund dieser Formel. Sie geht davon aus, dass jeder Text über jemanden, sich auch diesen richtet. Doch es gibt auch ein gesetzliches Regelwerk, das die antike Tugend fortschreibt. § 168 des deutschen Strafgesetzbuchs kennt den Tatbestand der “Störung der Totenruhe”. Das ist durchaus mit Seuchenbekämpfung zu erklären. Weniger Absatz 2, der auf Grabstätten “beschimpfenden Unfug” verbietet.

Zurück zur Erinnerungsrede. Derrida war der Meister dieses Fachs. Er wusste wie kaum ein anderer am Grat der Würdigung zu tänzeln. Ihm war mehr als anderen gegenwärtig, dass die postmortale Achtung von einer unterdrückten Mordlust angetrieben wird, jede Huldigung eine Missbilligung enthält. Es klafft ein ethischer Riss. Besonders in Trauer- und Totenreden. Einerseits geht es um die Pietät, die den Verstorbenen gegenüber einzuhalten ist. Andererseits beginnen Lebenswerk und Biografie erst mit dem Brechen des Schweigens, besonders wenn man in den Hingeschiedenen heimlich Täter vermutet. So geschehen kürzlich mit Salvador Dalí. Der Mann, dem die Kunstgeschichte einige der faszinierendsten Bilder zur Vergänglichkeit, dem Zerrinnen der Zeit, verdankt, wurde in seiner Totenruhe gestört. Dem einbalsamierten Leichnam wurden Haare und Nägel entnommen, um über einen DNA-Test Aufschluss in einem Vaterschaftsprozess zu gewinnen. Offiziell ist der surrealistische Maestro, der von 1938 bis zu ihrem Tod 1982 mit seiner Frau Gala verheiratet war, kinderlos geblieben. Eine Frau hatte allerdings angegeben, dass ihre Mutter im Hause Dalí als Hilfe gearbeitet und eine Beziehung zu dem exzentrischen Künstler unterhalten hätte, aus der sie hervorging. Der Rechtsstreit, den die Klägerin gegen den spanischen Staat anstrengte, bleibt nun definitiv ohne Nachspiel. Zurück aus der Vorzukunft. Dalí ist nicht der Vater von Pilar Abél. Die bizarre Exhumierung erinnert nur entfernt an die berühmteste der Kunstgeschichte. Diese blieb nämlich erfolglos. Salvator Jesus war nicht mehr da, als sein Grab aufgesucht wurde. Salvador Dalí war noch da, sogar sein Schnurrbart soll intakt gewesen sein.

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Abbildung:

Salvador Dalí: La Cara de la Guerra, 1940, Öl/Lw, Museum Boijmans van Beuningen, Rotterdam, © Bildrecht, Wien 2017

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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